Die Kunst-Welt steht konstant im Wandel und immer wieder vor Herausforderungen: Doch wie funktioniert Kunst als Wegweiserin für eine inklusive, demokratische und vor allem tolerante Gesellschaft? Zwei Expertinnen klären uns auf!
Bei Wmn küren wir jede Woche eine starke und inspirierende Frau zu unserer wöchentlichen Heldin. Diese Frauen empowern uns und reißen uns mit ihren starken Aussagen mit. Diese Woche haben wir gleich zwei Frauen zu unseren Weekly Heroines ernannt, denn sie sind Expertinnen rundum das Thema weibliche Repräsentation in der Kunst. Darüber, wieso alle Menschen in der Kunst repräsentiert werden müssen und wie Kunst als interkulturelle Begegnung funktioniert, haben wir mit Mirna Funk und Iris Brand gesprochen.
Mirna Funk und Iris Brand kurz und knapp
Mirna Funk:
- Sie ist 1981 in Ost-Berlin geboren und lebt zwischen Berlin und Tel Aviv
- Mirna Funk studierte Philosophie an der Humboldt Universität und arbeitet als Essayistin und Autorin
- In ihren literarischen Werken, essayistischen und journalistischen Arbeiten sowie kuratorischen Projekten geht Mirna Funk den Fragen nach der Präsenz jüdischer Kultur in Deutschland heute und einer gegenwartsorientierten Erinnerungskultur nach
Iris Brand:
- Als Head of Corporate Responsibility & Contributions bei der Philip Morris GmbH verantwortet Iris Brand seit November 2021 die strategische Ausrichtung der Unternehmensaktivitäten für gesellschaftliches sowie soziokulturelles Engagement
- Brand studierte Sprach-, Kultur- und Literaturwissenschaften sowie Gymnasiallehramt für Französisch und Englisch an der Universität Würzburg und Kommunikationswissenschaften an der Deutschen Presseakademie der Quadriga in Berlin
- Sie ist 38 Jahre alt und alleinerziehende Mutter eines 2-jährigen Sohnes. Sie lebt mit ihrem Sohn und ihrem Au-Pair in München.
Mirna Funk: “Wir sollten Kunst nicht nach Geschlechtern aufteilen.”
Wmn: Frauen in der Kunst: Welche Herausforderungen stehen ihnen aktuell bevor?
Mirna Funk: Mir wäre lieber, wenn wir den Kunstbereich nicht nach Geschlechtern aufteilen. Generell werden in Deutschland Künstler:innen und Intellektuelle grauenhaft schlecht bezahlt. Es gibt eine absurde Vorstellung, dass Kunst irgendwie außerhalb des Marktes liegen muss, um eine tiefe Bedeutung zu bekommen. Das ist furchtbar antimodernes und auch menschenfernes Denken. Denn Künstler:innen sind Menschen, die essen und ihre Miete zahlen müssen und nicht irgendwelche ätherischen Gestalten fernab vom normalen Leben. Daher wäre es schön, wenn diese Tatsache langsam bei den Entscheider:innen ankommen würde und damit die wirtschaftliche Lage von Künstler:innen verbessert wird.
Info: Einkommensgruppen in der bildenden Kunst
Laut dem Spartenbericht Bildende Kunst des statistischen Bundesamtes waren von den rund 44 000 bildenden Künstlerinnen und Künstlern in der niedrigsten Einkommensgruppe 60 % weiblich. Im Vergleich zum Anteil der erwerbstätigen Frauen in der Bildenden Kunst (53 %) sind diese in dieser Einkommensklasse somit überrepräsentiert.
Wmn: Wie hilft Kunst (und vor allem Literatur) dabei, Erinnerungskultur zu fördern und zeitgleich neue Impulse zu setzen?
Mirna Funk: Schreiben ist ja per se Erinnerung. Denn als Schriftsteller:in erzählt man Geschichten, in denen das Gestern mit dem Heute sowie dem Morgen in Verbindung gebracht wird. Dabei entsteht nicht nur eine Rückbesinnung, sondern gleichzeitig ein Blick in die Zukunft.
“Mirna Funk: Es gibt mittlerweile viele erfolgreiche Künstlerinnen.”
Wmn: Diversität in der Kunst: Wovon braucht die Kunst deiner Meinung nach unbedingt mehr?
Mirna Funk: Man kann das nicht verallgemeinern. Es gibt verschiedene Kunstrichtungen, Institutionen, Galerien usw. Wenn es um Diversität geht, dann hat Deutschland prinzipiell ein Riesenproblem damit anzuerkennen, dass wir längst in einer pluralistischen Gesellschaft leben. Über 30% der Menschen in Deutschland haben mittlerweile einen Migrationshintergrund. Wenn sich das nicht in den Medien, der Kunst, den Institutionen, aber auch den Konzernen, Unternehmen und letztlich jedem Winkel dieses Landes widerspiegelt, dann gibt es Dissonanzen, die langfristig zu Problemen führen werden.
Wmn: Wie werden vor allem weibliche Personen in der Kunst deiner Meinung nach heutzutage wahrgenommen?
Mirna Funk: Anders als noch vor 100 Jahren gibt es mittlerweile viele erfolgreiche Künstlerinnen. Diese aktiven Frauen ebnen den Weg – trotz der schwierigen Kämpfe, die sie führen müssen – um solche Fragen in der Zukunft obsolet zu machen.
Zahlen und Fakten: Frauen in der Kunst
Das Interesse von Frauen an der Kunst ist laut einem Bericht des Monopol Magazins groß: Im Studienbereich Kunst und Kunstwissenschaft beträgt der Anteil der Studentinnen 81 Prozent. Der Anteil weiblicher Lehrender ist auf 54 Prozent angestiegen. Aber: Der Anteil von Frauen in der Leitung von Kunstmuseen beträgt 34 Prozent. 55 Prozent der Studierenden der Bildenden Kunst sind weiblich, auch der Anteil der Frauen bei den Lehrenden ist auf 37 Prozent gestiegen. Allerdings werden nur unter fünf Prozent der Kunsthochschulen von einer Frau geleitet.
“Iris Brand: Kunst ist ein wunderbarer Weg, um Menschen zusammenzubringen.”
Wmn: Wie funktioniert Kunst als interkulturelle Begegnung?
Iris Brand: Kunst bringt Menschen mit den unterschiedlichsten Erfahrungen und Hintergründen zusammen, ermöglicht neue Sichtweisen, gemeinsames Kennenlernen und Erleben.
Genau darum geht es auch bei unserem Kunst- und Kulturförderpreis The Power of the Arts, den wir seit 2017 vergeben. „Transforming Society“ lautet die Unterzeile – und das ist auch mein Verständnis von Kunst und Kultur, insbesondere wenn wir von Kunst als interkulturelle Begegnung sprechen: Sichtweisen zu verändern, aufeinander zugehen und offen gegenüber Neuem zu sein.
Ich denke, dass Kunst in unseren angespannten Zeiten die Rolle als Ratgeberin, Wegweiserin und Inspirationsquelle für neue Impulse und einen offenen gesellschaftlichen Dialog einnehmen kann. Künstler:innen können durch ihre Arbeit neue Wege aufzeigen. Und Toleranz und Offenheit gegenüber Neuem und dem „Anderen“ fördern. Hierdurch wird strukturelle, soziale und kulturelle Barrieren für Teilhabe abgebaut.
Info: Das ist der Kulturförderpreis The Power of Arts:
Den Kunst- und Kulturförderpreis The Power of the Arts hat die Philip Morris GmbH als Reaktion auf die internationalen Fluchtbewegungen seit 2015 initiiert. Teilnehmen können gemeinnützige Organisationen, die durch Kunst und Kultur soziale Gleichberechtigung fördern, Demokratie stärken und kulturelle Verständigung ermöglichen.
Bewerben können sich Initiativen aus allen Bereichen: Musik, Theater, Kunst, Film, Tanz, Literatur, den angewandten Künsten und erstmalig in diesem Jahr auch Architektur. Von der Integration und Teilhabe im Alter über den Kampf gegen Rassismus und interkulturellen Dialog bis hin zur Förderung von Menschen mit Behinderungen im Kunstbetrieb ist alles vertreten.
Iris Brand: „Der Prozess ist ein demokratisches Kunstwerk.“
Wmn: Wie funktioniert inklusive und demokratische Kunst?
Iris Brand: Demokratie verstehe ich als eine Form des offenen, toleranten und pluralistischen Miteinanders, in welchem alle Stimmen Gehör finden und wir insbesondere auf die Schwächeren und Benachteiligten Acht geben. Kunst ist dabei ein wunderbarer Weg, um Menschen zusammenzubringen. Das kann in den verschiedensten Formen geschehen, sei es in Tanz, Film, Theater, Literatur, Architektur oder den bildenden Künsten.
Besonders gut funktioniert das bei künstlerischem Handeln auf Augenhöhe, wo die Menschen selbst im Vordergrund stehen. Das Konzept Community-Arts, also Kunst, in welcher Menschen zusammenfinden und Kunst gemeinsam erschaffen, drückt genau diesen Gedanken aus. Dort, wo Begegnungen und gleichberechtigte Diskussionen stattfinden, unterschiedliche Ideen aufeinandertreffen und jede:r seine eigene Perspektive einbringen kann, wird letztendlich Inklusion ermöglicht und Demokratie gestärkt.
Genau dafür stehen die Preisträger:innen bei The Power of the Arts der letzten Jahre. Hier setzen sich die Künstler:innen mittels Kunst und Kultur für soziale und kulturelle Gleichberechtigung ein.
Alle Akteur:innen machen mit, erschaffen gleichberechtigt ein Gemeinschaftswerk. Menschen mit und ohne körperliche Behinderungen, Personen mit den unterschiedlichsten Hintergründen. Am Ende steht das Ergebnis. Und noch viel wichtiger: Der Prozess als eigenes, demokratisches Kunstwerk.
“Iris Brand: Kunst ist für alle da.”
Wmn: Was können wir tun, um die Teilhabe aller Menschen an der Kunst zu fördern?
Iris Brand: Kunst ist für alle da. Es geht darum, dass nicht nur die Teilhabe an künstlerischen Veranstaltungen im Allgemeinen verbessert wird, sondern auch um einen strukturellen Wandel in den Künsten selbst. Zum Beispiel sollten Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen deutlich umfassender, gleichberechtigtere und integrativere Bestandteile in allen Formen von Kunst sein — als Schauspieler:innen, als Tänzer:innen, als Maler:innen. Es geht zum einen darum, tatsächlich allen Menschen eine umfassende Teilhabe am Schaffen und Gestalten zu ermöglichen. Und gleichzeitig natürlich auch, die tatsächlich existierende Diversität unserer Gesellschaft in ihrer Tiefe abzubilden und ihr Sichtbarkeit zu verschaffen.
“Iris Brand: Vielfalt und Diversität ist unglaublich facettenreich.”
Wmn: Wie sieht es mit Projekten aus, die sich speziell auf Frauen beziehen? Welche Arten von Projekten gibt es? Und wieso ist es so wichtig, gerade die Teilhabe von weiblichen Personen zu fördern?
Iris Brand: Mit The Power of the Arts haben wir einen Preis ins Leben gerufen, der ganz bewusst integrativ für alle Gesellschaftsgruppen gedacht ist. Dabei verstehen wir Vielfalt und Diversität in ihrer Gänze als außerordentlich facettenreich. Eine Frau ist nicht nur Frau. Sie bewegt sich in einem sozialen, kulturellen, religiösen und auch familiären Kontext. Mit unserem Preis möchten wir all diesen Dimensionen Rechnung tragen und tatsächliche Inklusion fördern. Aber natürlich gab es in der Vergangenheit auch Preisträgerprojekte, die ausschließlich von Frauen durchgeführt wurden.
Sie fördern die Teilhabe weiblicher Akteur:innen in der Kunst und zeigen exemplarisch, worum es bei The Power of the Arts geht. Um eine aktive Förderung von Begegnungsstätten, wo Menschen aller Hintergründe und Erfahrungen auf Augenhöhe mit Respekt und Wertschätzung füreinander einstehen. Orte der Kunst und Kultur, an denen die eigene, multidimensionale Identität, der eigene kulturelle Background Teil eines gemeinsamen Kollektivs wird.
Wenn du mehr über den Preis The Power of Arts erfahren möchtest, schau hier vorbei.
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