Corona hat jeden auf seine ganz eigene Art getroffen. Wie zum Beispiel meine Mama Yvonne. Sie ist Webdesignerin, Werbetexterin und Fotografin. Während Corona ist sie vor allem eines: überflüssig. Nur sehr wenige Firmen haben derzeit das nötige Kleingeld in Marketing zu investieren und sich um die Außenrepräsentation ihres Unternehmens zu kümmern. Stattdessen geht es ihnen vor allem darum, die Krise mit Ach und Krach zu überstehen.
Als meine Mutter beschloss auf dem Spargelfeld zu arbeiten, hätte sie nie damit gerechnet, was auf sie zukommt. Ich habe Yvonne zu ihrer Zeit als Spargelarbeiterin zu Coronazeiten befragt.
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Auf dem Spargelfeld: So sieht es da in Coronazeiten aus
Achtung: Das Gespräch wurde bereits im Frühjahr 2020 geführt. Damals war die Coronakrise in Deutschland noch etwas Neueres und wir befanden uns im ersten Lockdown. Um die Erntehelfer stand es damals wie heute allerdings nicht gut. Einreisebestimmungen und Coronaverordnungen machen ihnen das Leben schwer.
wmn: Wie kamst du zu der Idee dich als Spargelarbeiterin auf dem Feld zu versuchen?
Yvonne: Als Corona begann, sich in Deutschland auszubreiten und die ersten Meldungen der Kurzarbeit durchkamen, hat bei mir das Telefon einfach nicht mehr geklingelt. Als Selbstständige bin ich zu 100% darauf angewiesen, dass meine Kunden mich brauchen.
Aber wer braucht schon Werbung, wenn ohnehin niemand etwas kauft? Ich habe also zwei Wochen Netflix-schauend auf der Couch verbracht, bis mir auffiel, dass es so nicht weitergehen kann.
wmn: Du hast dich bei einem Job beworben, den du noch nie gemacht hast.
Yvonne: Ja, ich habe mir das ganz einfach vorgestellt. Statt mit dem Kopf zu arbeiten und den ganzen Tag lang kreativ zu sein, wollte ich etwas mit den Händen machen und meinen Körper mal so richtig auspowern. Und ganz nebenbei: Spargelarbeiter ist im Gegensatz zum Marketing ein systemrelevanter Job. Da schwillt einem schonmal die Brust.
wmn: Wie hast du dich denn beworben?
Yvonne: Eine richtige Bewerbung war das eigentlich nicht. Ich habe mit einfach auf eine Anzeige in der Zeitung gemeldet und schwups war ich drin. Es war kein Full-Time-Job, denn die sind für die Spargelarbeiter reserviert, die seit Jahren aus unseren Nachbarländern herkommen.
wmn: Wie viel hast du dort verdient?
Yvonne: Das Gehalt war ein echter Schock für mich. Nicht einmal ganz 10€ in der Stunde konnte ich erwarten. In meinem eigentlichen Job ist es das Fünf- bis Siebenfache davon. Ich durfte nicht mehr als 70€ am Tag verdienen. Vielleicht ist es noch wichtig zu erwähnen, dass die deutschen Aushilfen einen höheren Stundenlohn haben als die bulgarischen und polnischen Kollegen.
wmn: Wie war denn das Arbeitsklima dort?
Yvonne: Es war sehr anstrengend. Nicht nur, weil die Arbeit an sich so zehrend war, sondern weil ich mich mit niemandem unterhalten konnte. Die Spargelsortiermaschine hat so laut gerattert, dass wir schreien mussten und selbst wenn wir uns akustisch hätten verstehen können, sprachen die meisten Arbeiter kein Deutsch… Ich wurde dort ein wenig einsam.
wmn: Wie war dein Team aufgebaut?
Yvonne: Mein Team bestand aus 12 polnischen Arbeitern und einem Aushilfsteam von fünf Deutschen. Einige von ihnen waren jedes Jahr da, die meisten waren aber wie ich wegen Corona irrelevant geworden.
Die, die sich in den letzten Jahren bereits als “gut” erwiesen hatten, hatten die Ehre den Spargel zu stechen. Ich durfte ihn nur sortieren (lacht) und das war anstrengend genug.
wmn: Spargelstechen ist also eine Art Ritterschlag?
Yvonne: Ja, irgendwie schon. Man bekommt zwar nicht mehr Geld dafür, aber es ist eine sehr anstrengende Tätigkeit, die Fingerspitzengefühl und Konzentration erfordert. Nach dem Stechen kam der Spargel bei uns aufs Fließband, um ihn zu sortieren. Dort konnten wir ganz genau sehen, welche Spargelstiele von welchem Arbeiter gestochen wurden. Ausgefledderte Enden und gebrochene Köpfe waren keine Seltenheit.
Das Stechen des Spargels wurde ausschließlich von Männern übernommen. Vor allem, weil es so sehr auf den Rücken geht. Die Jungs arbeiten zehn Stunden am Tag in gebeugter Haltung. Und das 4 Monate lang, 7 Tage die Woche. Wenn das eine Frau aushält und danach immer noch Kinder bekommen kann, dann fress ich ’nen Besen.
wmn: Deine Kollegen aus Polen und Bulgarien machen die Spargelarbeit also hauptberuflich?
Yvonne: Ja, für sie ist die Erntezeit in Deutschland eine Möglichkeit, sich ein Überleben zu sichern. Sie arbeiten hier ungefähr vier Monate lang durch und können von dem Geld den Rest des Jahres in ihrer Heimat essen und wohnen. Oft können sie dort keinen Job bekommen.
wmn: Dafür nehmen sie aber einige Strapazen auf sich.
Yvonne: Das auf jeden Fall. Allein die Arbeit auf dem Feld ist hart genug. Am Abend kehren sie in ihre Holzhütten auf dem Hof zurück, wo sie alle gemeinsam wohnen. Ich hatte aber nicht das Gefühl, dass ihnen die Enge etwas ausmacht. Sie haben bei dieser Art der Arbeit einfach keine Kraft dafür, sich nach Freiheit oder Freizeit zu sehnen. Ein hochprozentiges Getränk oder zwei am Abend reichen vollkommen aus.
wmn: Welche Erkenntnisse hast du aus deiner Zeit als Spargelstecher mitgenommen?
Yvonne: Einige. Zum einen verstehe ich jetzt warum Spargel so teuer ist, denn es ist so viel Handarbeit erforderlich, um ihn herzustellen. Das wusste ich nicht.
Ich habe einen unfassbaren Respekt für Spargelstecher und Arbeiter vor den Sortiermaschinen gewonnen. Für einen so geringen Lohn eine solche Knochenarbeit zu leisten hat etwas Heldenhaftes.
Für einen so geringen Lohn eine solche Knochenarbeit zu leisten hat etwas Heldenhaftes.
Yvonne, Spargelhelferin
Ich habe den Job angefangen, weil ich endlich mal mein Gehirn ausschalten wollte. Stattdessen musste ich mich beim Spargelsortieren so sehr konzentrieren wie nur selten in meinem eigentlichen Job. Wenn ich nur ein oder zwei Sekunden unaufmerksam war, entstand direkt Chaos. Diesen Stress will ich nicht nochmal erleben.
Ich bin nach einem Monat Spargelarbeit mit gut 750 € nach Hause gegangen. Dazu gewann ich eine Menge neuer Eindrücke und Lehren im Kopf, Schmerzen im ganzen Körper und Respekt im Herzen.
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