Seit 53 Jahren gibt es nun schon an deutschen Schulen. Das Jahr 1968 war für viele Menschen das Jahr der sexuellen Befreiung – und auch für die Kinder der deutschen Schulen. Denn seither bekommen Kinder in ganz Deutschland schon in der Schule die wichtigsten Grundbegriffe zum Thema Sexualität und Körperlichkeit auf den Weg. Doch ist es wirklich so fortschrittlich wie es klingt? Wir haben uns den Lehrplan mal angesehen und haben noch einiges entdeckt, wo es Nachholbedarf gibt.
Übrigens: Wusstest du, dass die DDR weitaus früher mit der Sexualpädagogik begann als Westdeutschland. Hier wurde schon im Jahr 1966 zum ersten Mal Sexualkunde unterrichtet. Hier sollte nämlich „sachlich begründetes Wissen“ an die Kleinen herangetragen werden. Im Westen wurde zwei Jahre später der Sexualunterricht mit der Begründung der „Sexualerziehung“ eingeführt.
Die sexuelle Revolution – Die Geburtsstunde der Sexualkunde
Die Studierendenbewegungen und Aufklärungswellen zum Ende der 60er und in den 70er Jahren sorgten dafür, dass ganz Deutschland mit Tabus brach, die es schon sehr lange innehatte. Vor der sexuellen Revolution war Sex etwas Verbotenes und wurde von der Kirche als etwas Dreckiges angesehen. Doch die Forschung von Wissenschaftler:innen wie Alfred Kinsey sorgten dafür, dass der Gesellschaft die Augen geöffnet wurde. Die sogenannten Kinsey-Reports ergaben zum Beispiel, dass die meisten Menschen bis zu einem gewissen Grad bisexuell sind. So wurde das heteronormative Weltbild der Deutschen teilweise aufgebrochen.
Nicht weniger wichtig für die sexuelle Revolution war die Pille für die Frau. Sie machte es Frauen endlich möglich, sich sexuell entfalten zu können, ohne sich dabei vor einer etwaigen Schwangerschaft fürchten zu müssen. Die Pille kam das erste Mal im Jahr 1960 auf den Markt und ist bis heute sehr beliebt.
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Heute gehört viel mehr zur Sexualerziehung dazu als früher
Sexualkunde war vor allem auf die Aufklärung des jugendlichen Körpers ausgelegt. Teenager wurden in der Pubertät darüber aufgeklärt, was in ihrem Körper gerade passiert, was Hormone und wie man mit neuen Gerüchen, Gelüsten und teilweise sogar neuen Körperteilen umgeht. Auch heute noch liegt ein großes Augenmerk des Sexualunterrichts auf der Körperlichkeit, der Erklärung der Geschlechtsorganen und der Frage nach der richtigen Intimhygiene. Das zeigen einige Arbeitsblätter, die beispielsweise von Webseiten wie Aufklärungsstunde.de herausgebracht werden.
Es hat sich allerdings gesellschaftlich einiges geändert: Das Heteronormativ als gesellschaftliche Basis wird gerade aufgebrochen und die Gesellschaft wird langsam immer fluider. Das bedeutet, dass auch genderfluide Menschen heute eine geschlechtliche Bezeichnung haben, auch wenn es sie schon immer gab. Die Bundeszentrale für politische Bildung setzt sich bereits vermehrt dafür ein, dass diesem veränderten Gesellschaftsbild auch in den deutschen Schulen nachgekommen wird. Wichtig ist es hier, die bestehenden Normen zu hinterfragen, Geschlechterrollen aufzubrechen und den Kindern das Gefühl zu geben, dass sie sich in ihrem Körper wohlfühlen dürfen. Egal, wie er aussieht.
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Hier hängt die Sexualkunde noch ziemlich hinterher
Sex ist Sex. Babys sind Babys. Man kann schwanger werden, wenn man sich nicht ordentlich schützt. Daran hat sich seit den 60er Jahren nichts geändert. Und das wird sich wahrscheinlich auch so schnell nicht ändern. Allerdings hat sich mit dem Internet der Zugang von Kindern und Jugendlichen zu Sex geändert. Die meisten Teenager besitzen ein Smartphone mit Internetzugang und machen sich damit ein eigenes Bild von Dingen wie Sex, Körper und Geschlechtlichkeit.
Übrigens: Gut 73 % der 12-Jährigen besitzen bereits ein Smartphone.
Das bedeutet nicht, dass der Sexualkunde-Unterricht in den Schulen weniger wichtig ist als früher. Die Inhalte sollten die Kinder nur eben auf ihrer sexuellen Reise intellektuell begleiten, anstatt ihnen die Basis-Begriffe zu erklären, die sie ohnehin kennen. Wichtig ist dabei, gut hinzuhören, was die Kinder tatsächlich für Fragen haben und ihnen zu vermitteln, dass keine ihrer Gelüste komisch oder unangebracht sind.
Das Thema Verhütung im Sexualkunde-Unterricht
Das Thema Verhütung sollte eines der wichtigsten in der Sexualkunde sein. Allerdings wird sie bei manchen Aufklärungsseiten für Lehrer:innen beinahe vollständig ausgeklammert. Auf Aufklärungsstunde.de gibt es zu diesem Thema kein Arbeitsblatt und auch bei Verlagen wie dem Friedrich-Verlag wird ein viel größeres Augenmerkt auf die Biologie des Menschen, statt auf die Verhütung beim Sex gelegt.
Das Problem mit der Verhütung ist zu groß, um es im Sande verlaufen zu lassen
Lange Zeit war die Pille für die Frau das Verhütungsmittel Nummer eins. Seit den 60er Jahren, als die Pille das erste Mal auf den Markt kam, hat sich aber (theoretisch) in der Wissenschaft einiges getan. Wir wissen heute, dass die meisten Pillen ein echt heftiger Hormoncocktail für einen Frauenkörper sind und deswegen wollen immer mehr Frauen weg von der Pille. Eine Perspektive auf andere Verhütungsmittel sollte in der Schule unbedingt vermittelt werden müssen.
Was ist eigentlich mit Geschlechtskrankheiten?
Nein, niemand spricht gerne über sie und trotzdem sind sie da. Überall um uns herum. Die allermeisten Geschlechtskrankheiten sind den Menschen gar nicht anzusehen. Chlamydien, HP-Viren oder auch HIV sind nicht einmal dann zu erkennen, wenn man einen direkten Blick auf die Geschlechtsteile des Gegenübers wirft. Allerdings sind auch sehr offensichtliche Geschlechtskrankheiten wie Feigwarzen nur für die wenigstens erkennbar. Woran liegt das? Es wurde ihnen nicht beigebracht sie zu erkennen, auch wenn sie eine sehr verbreitete Geschlechtskrankheit sind.
Übrigens: Feigwarzen sind kleine Pickel, die sich am Geschlecht ausbreiten können. Sie werden beim Sex übertragen, können sich aber erst nach Monaten wirklich zeigen.
Fazit: Bei der Sexualkunde ist noch Luft nach oben
Sexualunterricht hat heute einen anderen Stellenwert als in den 60er und 70er Jahren. Denn die Wahrnehmung der eigenen Sexualität hat sich grundlegend verändert seitdem die sexuelle Revolution gefruchtet hat. Vor allem Themen wie Verhütung und Geschlechtskrankheiten müssen an die Kinder und Jugendlichen herangetragen werden.
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