Ich kann mich genau daran erinnern, als ich im Zuge der Me Too-Bewegung zum ersten Mal einen Mann habe sagen hören: „Heute darf man aber auch gar nichts mehr zu Frauen sagen! Jetzt ist sogar das Flirten verboten!“
Wie sehr hätte ich mir gewünscht, zu diesem Zeitpunkt schon die Seite „Antiflirting“ auf Instagram zu kennen. Statt sprach- und machtlos dazustehen, hätte ich diesem Mann dann detailliert den schmalen Grat zwischen Flirten und sexueller Belästigung aufzeigen können – anhand einer beachtlichen Sammlung an unangemessenen und ekligen Nachrichten.
„Antiflirting“: Von klassischen Dickpics bis zur sexistischen Beleidigung
Jede Frau, die ihr Smartphone tagtäglich zur Kommunikation nutzt und auf Messenger-Dienste sowie soziale Netzwerke setzt, wird bereits mit sexueller Belästigung konfrontiert gewesen sein. Bei mir war der prägendste Moment eindeutig, als mir ein Mann ungefragt ein Bild auf der Dating-Plattform Tinder schickte, auf dem er nichts als eine Windel trug. Die Aufforderung war eindeutig: „Möchtest du meine Mami sein?“
Leider fallen nicht alle virtuellen Annäherungen so „harmlos“ aus wie bei mir: Viele Frauen werden mit Dickpics, frauenfeindlichen Kommentaren und mit sexistischen Gewaltfantasien konfrontiert. Das Problem?
Viele Männer verstehen ihre Nachrichten oft als schmeichelnden, wenn auch offensiven Flirtversuch und nicht als sexuelle Belästigung. Doch Flirten basiert auf einer gleichberechtigten Kommunikation und genannte Beispiele sind vielmehr als Antiflirts zu verstehen.
Welche dummen Anmachen unsere RedakteurInnen bereits im echten Leben erfahren mussten, liest du hier.
Ein virtueller Ort weiblicher Ermächtigung
Wie oft solche angeblichen Flirtversuche einseitig bleiben und sich schnell aggressiv entladen, wenn nicht die gewünschte Reaktion erzielt wird, zeigt der Instagram Kanal „Antiflirting“ von zwei jungen Frauen aus Wien.
Caro und Kim sammeln hier anonyme Nachrichten und Chatverläufe von ihren FollowerInnen und stellen diese unzensiert online. Gegenüber VICE geben sie an, dass circa 90 % der eingesendeten Screenshots von Frauen stammen und machen damit deutlich, dass sexuelle Belästigung auch Männern widerfährt.
Viele Nachrichten versehen sie mit Triggerwarnungen. Denn vor allem auf Menschen, die bereits sexuelle Gewalt erfahren mussten, könnten diese Inhalte traumatisierend wirken. Doch selbst ohne traumatische Erfahrung gehen die Chatverläufe unter die Haut und lassen es uns kalt den Rücken runter laufen.
Empowerment statt Opferrolle
Caro und Kim verstehen sich selbst als Einstiegsquelle, um aufzuzeigen, was sexuelle Belästigung im Netz bedeutet. Mit dem simplen Mittel der Bloßstellung, wenn auch anonym, ermächtigen sie Frauen, sich gar nicht erst in eine Opferrolle drängen zu lassen und zeigen ihnen, dass sie mit ihren Erfahrungen nicht allein dastehen. Im Interview mit VICE erklären die Initiatorinnen der Seite:
Wir haben unseren Account „Antiflirting“ genannt, weil das, was die Menschen da schreiben, übergriffig ist. Das ist beleidigend, sexistisch, rassistisch, aber definitiv kein Flirten.– Caro
Dabei wollen sie keine einzelnen Personen bashen, sondern vielmehr auf das gesamte „übergriffige System aufmerksam machen“, stellen sie gegenüber VICE klar. Caro und Kim haben erkannt, dass Antiflirts als Teil der sexuellen Belästigung ein Problem unserer Gesellschaft sind und nicht als Einzelfälle abgetan werden können.
6 schockierende Antiflirts
Ihr hehres Ziel ist es, Awareness für das Problem zu schaffen und zu zeigen, dass Übergriffe nicht nur auf der Straße passieren, wie es beispielsweise beim Catcalling der Fall ist. Um auch dir einen Einblick zu verschaffen und zu zeigen, mit welch krassen Nachrichten Frauen online konfrontiert werden, haben wir hier sechs exemplarische Antiflirts für dich gesammelt:
1. Der „Ich würde dir dafür Geld geben“
Häufig kommt es auch vor, dass Männer bereits in ihren eigenen Nachrichten die Anmerkung machen, dass es vielleicht komisch kommt. Aber liebe Männer – warum fragt ihr dennoch weiter? Auch dass viele der Auffassung sind, dass Frauen für Geld alles machen und dann definitiv zustimmen, ist mehr als utopisch.
2. Der „Hier bitte, mein Dick“
Ungefragt einen Penis abfotografiert zu bekommen und im Postfach vorzufinden, ist eine Erfahrung, die viele Frauen bereits durchleben mussten. Liebe Männer, bitte hört auf, uns mit Bildern eures Genitals zu versorgen, ES SEI DENN, wir fragen ganz lieb danach.
3. Der „Vergeben gibt’s nicht“
Viele Männer akzeptieren ein NEIN erst dann, wenn man als Frau angibt, vergeben zu sein. Der Respekt gegenüber dem Partner reicht dann vielen Männern und sie ziehen von dannen. Andere fangen dann erst richtig an.
4. Der „Ich kenne keine virtuellen Grenzen“
Eine Erfahrung, die ich selbst machen musste: Via Facebook erreichten mich Nachrichten, die mich auf mein Tinderprofil ansprachen. Auf Nachfrage wurde mir klar, dass mein Facebook-Profil mit Tinder verbunden war und die Männer sich aktiv auf die Suche nach mir machten. Hier wurden eindeutig Grenzen überschritten. Daran ist nichts süß, das grenzt an Stalking.
5. Der „Bist eh nicht so hübsch“
Mein Klassiker unter den übergriffigen Anmachen, ob online oder auf der Straße: Reagiert man nicht so, wie der Antiflirter es möchte, wird der schnell mal aggressiv und beleidigend. So wurde ich auf der Straße schon mit Komplimenten umschmeichelt, doch nach meinem „Korb“ als hässliche Schlampe betitelt.
6. Der „Monolog ist auch ne Art Kommunikation“
Liebe Menschen: Antwortet jemand nicht auf eure Nachrichten, hat das einen Grund. Die Kommunikation einseitig fortzuführen wird euch auch nicht vor den Altar führen. Bitte lasst es bleiben!
„Antiflirting“-Initiatorinnen fordern Konsens beim Flirten
Eines machen Caro und Kim ganz deutlich: Sie wollen das Flirten nicht verbieten. Ganz im Gegenteil: Sie wollen es befördern, nur eben auf Augenhöhe. Gegenüber VICE gibt Caro abschließend zu bedenken: „Wir lieben beide Tinder, wir lieben Flirten, wir lieben Sex. Aber das Wichtige ist der Konsens bei allem.“
Dieser Haltung kann ich mich umstandslos anschließen und hoffe, dass Caro und Kim zukünftig weniger Arbeit haben werden, weil mehr TäterInnen klar wird, dass Antiflirts ihr Ziel verfehlen.
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