Im Juni gehen die Schulen in weiten Teilen Deutschlands wieder zurück in den Präsenzunterricht. Pandemiebedingt war zuletzt ein weiteres halbes Jahr Homeschooling und Wechselunterricht angesagt. Auf Kinder, Eltern und Lehrer kommen deshalb jetzt Veränderungen zu „und ein strikter Arbeitsrhythmus wird wieder gefordert“, sagt Manon Sander, Grundschullehrerin und Autorin von „Langinach Banga“, der Nachrichtenagentur spot on news. Im Interview gibt die Expertin Tipps, wie man Schülern die Rückkehr in die tägliche Routine erleichtern kann.
Der Schulalltag kehrt in den nächsten Wochen vielerorts langsam Richtung Normalität zurück. Welche Veränderungen kommen jetzt auf Eltern und Kinder zu?
Manon Sander: Es ist tatsächlich inzwischen so, dass ich viele Kinder kenne, die sich darauf freuen, wieder zur Schule zu gehen. Am Anfang war es sicherlich ganz schön, mal eine Zeit keinen richtigen Unterricht zu haben. Doch nach einiger Zeit wurde es sehr eintönig und auch einsam für die meisten Kinder und Jugendlichen. Umstellungen wird es sicherlich geben. Es muss wieder jeden Morgen früh aufgestanden werden. Bei Wind und Wetter muss der Weg zur Schule bewältigt werden und ein strikter Arbeitsrhythmus wird wieder gefordert. Das Thema Hausaufgaben wird auch eine ganz andere Bedeutung haben. Das ist nicht nur für die Schüler eine Umstellung, sondern auch für die Eltern. Selbst die Verpflegung, die bisher weitestgehend aus den heimischen Vorräten geleistet wurde, muss nun wieder mit zur Schule mitgenommen werden.
Können Schwierigkeiten bei der Rückkehr in die alte Routine auftreten?
Sander: Für einige Kinder und Jugendliche war es vielleicht angenehm zu Hause zu lernen und da ist die Schule erst einmal ein unangenehmer Platz. Es kann auch sein, dass einige Schüler ein verändertes Verhalten durch die lange Zeit der Abwesenheit zeigen, welches von teilnahmslos bis hin zu aggressiv sein kann. Freundschaften, die vorher bestanden, zerfallen plötzlich und auch das Verhältnis zu Lehrern kann ein anderes sein. Hinzu kann kommen, dass die Schulöffnung nach ein paar Tagen gar nicht mehr als positiv angesehen wird und schnell schon mal der Wunsch nach einer neuen Schließung geäußert wird. Hier sind Schule und Elternhaus gemeinsam gefordert!
Wie können Eltern ihren Kindern den Wiedereinstieg in die tägliche Routine erleichtern?
Sander: Kommunikation in alle Richtungen ist ein wichtiger Bestandteil. Man sollte über Schwierigkeiten reden. Umstellungen sind für alle nicht leicht, weder für Erwachsene noch für Kinder. Eltern sollten proaktiv auf ihre Kinder zugehen und ihnen vielleicht von ihren Ängsten und Problemen erzählen, die sie mit dem Wiedereinstieg aus dem Homeoffice in den Arbeitsalltag haben/hatten. Sie können auch von ihren Schwierigkeiten berichten, die sie mit dem wieder beginnenden Schulalltag haben.
Das können ganz alltägliche Sachen sein, wie das frühe Aufstehen oder die wieder aufkommende Flut an Kleidung. Es sollte aber auch vermittelt werden, dass jetzt vieles wieder leichter wird, denn die Profis erklären nun den Unterrichtsstoff und die Eltern müssen nicht mehr schwitzen und mühsam nach Begriffen wie Metapher und Distributivgesetz im Internet forschen. Um die Routine besser einüben zu können, hilft gerade bei jüngeren Kindern ein Plan, den man gemeinsam aufstellt.
Ist mit einem Leistungsnachlass und eventuell auch schlechteren Noten bei Schülern zu rechnen?
Sander: Hier sind individuelle Bewertungen gefordert und es müssen Förderkonzepte von den Schulen erstellt werden, die es allen ermöglichen, einen gewissen Standard zu erreichen. Eltern sollten vor allem Verständnis aufbringen, egal, wie schlecht Zensuren sind. Gemeinsam mit der Schule müssen Lösungen gefunden werden, die von zusätzlichem Unterricht für alle bis hin zu individueller Förderung einzelner gehen können.
Eine Klasse zu wiederholen, etwas das vielen Eltern momentan vielleicht als Ausweg erscheint, ist nicht immer eine gute Idee. Die Schüler werden aus ihrem gewohnten Umfeld, das sie endlich wieder besuchen dürfen, gerissen und müssen sich zusätzlich neu einleben. Unter Umständen liegt es auch gar nicht am Stoff, sondern daran, dass die Schüler einfach das Lernen in der Schule verlernt haben. Eltern sollten also nicht voreilig handeln, sondern sich mit der Schule absprechen. Vielleicht können auch Lerngruppen gegründet werden, die von Eltern, älteren Schülern oder bezahlter Nachhilfe geleitet werden.
Welche Veränderungen könnte es im Unterricht geben?
Sander: Auch wenn in weiten Teilen die Schulen nun wieder geöffnet werden, bedeutet das noch nicht, dass hier auch wieder komplett normaler Unterricht stattfinden kann. Noch ist die Pandemie nicht besiegt. Schulen könnten auch schnell wieder geschlossen werden, sollte es zu einem neuen Ausbruch kommen. Man wird versuchen, dies so weit wie möglich zu verhindern und Maßnahmen treffen, die kreativ sein können. Das kann von geöffneten Fenstern bis zu Unterricht im Freien reichen. Es wird wahrscheinlich weniger Partner- und Gruppenarbeit geben, bei der man direkt die Köpfe zusammenstecken muss. Trotzdem muss man gemeinsam arbeiten können. Vielleicht werden größere Räume, wie zum Beispiel Flure und auch Turnhallen, genutzt, um den Abstand zwischen Schülern zu erweitern.
Wichtig ist, dass nun alle gemeinsam nach Lösungen suchen, statt sich mit Problemen zu beschäftigen. Der Weg nach vorn ist wichtiger als der Blick zurück. Alle Schüler brauchen Zugang zur Bildung. Dies kann und muss gewährleistet werden. Die Form muss hier individuell angepasst werden. Die Schulen müssen ihre individuellen Möglichkeiten überprüfen. In anderen Ländern wird zum Beispiel ein Teil der Schüler per Internet zugeschaltet – das ist nicht ideal, kann aber die Klassenstärke verringern.
Eltern, Lehrer und Schüler sollten gemeinsam auch in den Vordergrund stellen, dass es nicht um Zensuren oder Vergleiche miteinander geht, sondern darum, dass jeder Schüler den bestmöglichen Lernzuwachs bekommen kann.