Hast du schon die Videos auf TikTok und Instagram gesehen, in denen Frauen ihren eigenen Teller und daneben den ihres Partners zeigen? Das typische Bild zeigt eine spärliche Portion auf der weiblichen Seite und einen voll beladenen „männlichen“ Teller. Betitelt wird das Ganze mit „My plate vs. his plate“ und Tränen lachenden Emojis. Weinen möchten bei diesem Anblick auch viele Feminist:innen: Sind wir über die Stigmatisierung von typisch männlich und weiblich nicht längst hinaus? Den Weltfrauentag nehmen wir zum Anlass, um diese Art von Trends genauer unter die Lupe zu nehmen.
Lies auch: In diesen Ländern ist der Internationale Frauentag ein Feiertag
Was haben Kalorien mit dem Weltfrauentag zu tun?
Die Erwartung, dass Frauen weniger essen sollten als Männer, ist nicht erst seit diesem TikTok-Trend vorhanden. Selbst Kalorientabellen, die von medizinischem Fachpersonal empfohlen und ausgegeben werden, enthalten eine klare Trennung zwischen männlichem und weiblichem Kalorienbedarf. In der Regel wird der tägliche Kalorienbedarf für Frauen um rund 500 Kalorien niedriger angegeben. Dafür finden die Expert:innen auch zahlreiche Gründe, von denen ich dir hier einen kleinen Auszug zeige:
- Grundumsatz: Männer sollen im Durchschnitt mehr Muskelmasse und weniger Fett haben, während das Verhältnis bei Frauen umgekehrt sei. Muskeln verbrennen auch im Ruhezustand mehr Kalorien.
- Hormonelle Unterschiede: Männer haben mehr Testosteron, was den Aufbau von Muskelmasse begünstigt und somit auch den Grundumsatz erhöht.
- Körpergröße und Gewicht: Männer sind laut Expert:innen im Durchschnitt deutlich schwerer und größer als Frauen und brauchen daher auch mehr Kalorien.
- Aktivitätslevel: Personen mit körperlich anstrengenden Berufen oder regelmäßiger sportlicher Betätigung haben einen höheren Kalorienbedarf.
Noch einmal zur Klarstellung: Diese Aussagen stammen nicht von uns, sondern von medizinischem Fachpersonal und anderen Ernährungsexpert:innen, die sich auf die bestehenden Kalorientabellen stützen.
Darum sind diese Kalorientabellen nicht sinnvoll
Die oben genannten Argumente sind nicht nur ungenau, sondern auch völlig veraltet. Der Kalorienbedarf ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich und von ganz anderen Faktoren abhängig als nur vom Geschlecht. Diese sogenannte binäre Geschlechterlogik ignoriert, dass das Geschlecht nicht nur biologisch bestimmt ist, sondern auch soziale und individuelle Unterschiede eine große Rolle spielen.
Lasst uns also eines festhalten: Menschen mit unterschiedlichen Körperkompositionen und Aktivitätsleveln haben individuelle Kalorienbedarfe, die nicht allein am Geschlecht festgemacht werden können. Und trotzdem halten sich sogar TikTok-Trends immer noch an solchen Dingen fest. Die gute Nachricht: Der TK-Kalorienbedarfsrechner fragt das Geschlecht nicht ab und konzentriert sich auf Schlaf und Aktivitätslevel.
Übrigens: Eine Studie des National Institute of Health belegt außerdem, dass es einen Unterschied macht, ob wir möglichst naturbelassene oder stark verarbeitete Kalorien zu uns nehmen. Mit hochverarbeiteten Lebensmitteln nehmen wir mehr Kalorien auf, heißt es dort.
Nicht nur am Weltfrauentag: Die Problematik aus feministischer Sicht
Die Kritik am „his plate, her plate“-Trend und seinem Ursprung bezieht sich auf medizinische, gesellschaftliche und wissenschaftliche Punkte. Wir haben die lautesten Gegenargumente hier einmal zusammengefasst:
- Geschlecht als biologisches und soziales Konstrukt: Die klassische Unterscheidung in „Männer brauchen mehr, Frauen weniger“ ignoriert sämtliche Faktoren, die für eine korrekte Bedarfsberechnung nötig sind.
- Körperbild und Diätkultur: Frauen wird dadurch vermittelt, dass sie weniger essen sollten als Männer – unabhängig von Aktivitätslevel, Körperzusammensetzung, Hormonhaushalt und anderen wichtigen Faktoren. Diese Fixierung auf „weniger Kalorien“ kann zu ernsthaften gesundheitlichen Folgen und Essstörungen führen.
- Unterschätzte physiologische Unterschiede: Viele Studien zur Ernährung und Kalorienberechnung basieren historisch auf männlichen Körpern und ignorieren wichtige Faktoren wie den Menstruationszyklus, Schwangerschaft oder Wechseljahre, die den Energiebedarf von Frauen schwanken lassen können. Wusstest du, dass Frauen während der Lutealphase bis zu 10 Prozent mehr Kalorien verbrennen?
- Unsichtbarkeit weiblicher Leistung: Der tägliche Kalorienbedarf wird oft anhand „typischer“ Aktivitäten berechnet, aber unbezahlte Care-Arbeit (Haushaltsführung, Kinderbetreuung, emotionale Arbeit) wird häufig nicht als körperlich oder mental anstrengend anerkannt.
Ist doch nur Spaß?
Na klar, werden die Videos mit den ungleich beladenen Tellern mit einem Augenzwinkern serviert. Dazu haben bereits viele Userinnen den Spieß umgedreht oder einfach völlig identische Essensportionen gezeigt. Auch wenn es hier viel um Unterhaltung geht, sollten wir die kritischen Stimmen dazu ernst nehmen.
Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen e.V. berichtet Folgendes: „Es ist davon auszugehen, dass in westlichen Ländern 5,5 %–18 % der jungen Frauen und bis zu 2 % der jungen Männer bis zum frühen Erwachsenenalter von einer Essstörung betroffen sind.“ Auch wenn Essstörungen viele Gründe haben können, sind falsche und veraltete Annahmen sicher einer davon. Also lasst uns weniger stigmatisieren, mehr auf unseren eigenen Körper hören und vor allem nicht ungefragt das Essverhalten anderer be- oder verurteilen.
Wenn du bei dir selbst oder in deinem Umfeld ein gestörtes Essverhalten vermutest, kannst du dich anonym unter 0221-892031 an die Beratungsstelle der BZgA wenden.
Du magst unsere Themen? Dann lies uns auch bei Google News.
Quellen: Stiftung Gesundheitswissen, Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V., Techniker Krankenkasse