Anstatt zu schreiben „Ich habe keine Lust“, wird schnell mal ein „Ich bin krank“ in den Gruppenchat geschickt. Und bevor wir überhaupt das Haus verlassen, versichern wir den wartenden Freund:innen: „Ich bin schon auf dem Weg!“ Warum tun wir das eigentlich? Wäre es nicht viel besser, ehrlich sein zu können und die Wahrheit zu sagen? Dr. Robert Feldman, Psychologie-Professor an der University of Massachussetts Amherst in den USA, hat in einer Studie untersucht, warum wir Menschen überhaupt lügen. Meist verbirgt sich hinter dem Schwindel nämlich keine böse Absicht, sondern einer dieser sechs sozialen Gründe.
Unsere Autorin Anna Chiara setzt sich ehrenamtlich als Erfahrungsexpertin für die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen ein und klärt über Themen rund um mentale Gesundheit und Resilienz auf.
Aus diesen 6 Gründen lügen Menschen am meisten – du auch?
1. Menschen lügen, um gemocht oder sogar bewundert zu werden
Ob in Freundschaften, im Job oder sogar in der Familie – manchmal verdrehen wir die Wahrheit zu einer kleinen Lüge, um bei anderen Menschen besser anzukommen. Das ist laut des Forschers auf mangelnde Anerkennung zurückzuführen, die wir uns dann durch das Lügen erhoffen. Im Vorstellungsgespräch erfindest du plötzlich ein total tolles Hobby, beim Familientreffen prahlst du mit deinen vermeintlich guten Noten in der Uni und beim Dating mutierst du zum „Harry Potter“-Fan, obwohl das eigentlich so gar nicht dein Ding ist. Kleine, aber feine Unwahrheiten, die dir früher oder später zum Verhängnis werden können. Und auch wenn dein Gegenüber dich erstmal mag und sogar bewundert, langfristig etwas vorzutäuschen, ist nicht nur unehrlich, sondern auch ganz schön anstrengend…
2. Menschen lügen, um jemandem zu schmeicheln
„Wie findest du mein neues Kleid?“… „Schön! Steht dir total gut“, antwortest du deiner Freundin zerknirscht. Hoffentlich merkt sie nicht, dass das geflunkert war. Die Wahrheit würde sie nur verletzen und das muss ja schließlich nicht sein. Außerdem wäre die Situation zwischen euch dann angespannt und „awkward“ – ein Grund, warum Menschen immer wieder lügen, erklärt Robert Feldman. Wir möchten Menschen, die wir gern haben, nicht vor den Kopf stoßen und mit einer ehrlichen Aussage verletzen. Also versuchen wir, ihnen mit einer kleinen Lüge zu schmeicheln. Doch wäre es wirklich so schlimm, ehrlich zuzugeben, dass das Kleid zu bunt und der neue Haarschnitt zu wild ist?
3. Menschen lügen, um negative Konsequenzen zu vermeiden
Und damit sind wir auch schon beim nächsten Grund, warum Menschen gelegentlich lügen: Wir wollen uns selbst oder auch andere vor negativen Konsequenzen schützen. Ein Verhalten, das laut Robert Feldmans Forschungen aus unserer Kindheit rührt. Die Lieblingsvase deiner Mutter ist beim Toben kaputt gegangen? Da war es doch ein Leichtes, die Schuld auf das Geschwisterchen zu schieben und sich gekonnt aus der Affaire zu ziehen, sodass er oder sie den Ärger kassiert. Was in Kindestagen geklappt hat, ist auch im erwachsenen Alter oft noch gängige Praxis. Doch du solltest dabei immer bedenken: Lügen haben kurze Beine…
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4. Menschen lügen, um zu bekommen, was sie wollen
Du willst den Job unbedingt! Würdest du dich dafür in deinem Lebenslauf ein paar Notenpunkte besser schummeln oder im Vorstellungsgespräch von deinem Auslandsaufenthalt schwärmen, der nie stattgefunden hat? Was rigoros klingt, ist für einige Menschen eine Strategie, um ein positives Ergebnis für sich selbst oder andere Personen zu erzielen. Wir „lügen oft, um Menschen in eine bestimmte Richtung zu lenken und am Ende das zu bekommen, was sie wollen“, erläutert der Psychologe gegenüber „health.com„.
Besonders in der Arbeitswelt lügen Menschen häufig, um in einer Firma eingestellt zu werden oder um ein gutes Wort für einen Freund/eine Freundin einzulegen. Doch Vorsicht: Wenn du mal etwas auf Spanisch sagen sollst, könnte schnell auffliegen, dass du nie zum Austauschjahr in Costa Rica warst… wie peinlich!
5. Menschen lügen, um ihre eigenen Lügen aufrechtzuerhalten
Wer einmal geschwindelt hat, der kommt aus der Nummer nur schwer wieder heraus. Zu groß ist die Sorge, wir könnten mit unserem Lügenmärchen auffliegen. Also erfinden wir wieder neue Lügen, um die alten zu vertuschen. Ein Teufelskreis, der letztendlich ein großes Lügenkonstrukt zu Tage bringt. Hoppala – das war doch so gar nicht geplant. Die Schwindelei jetzt einzugestehen, trauen sich die wenigsten. Dann bleibt nur noch die Hoffnung, dass das Lügengerüst möglichst lange stehen bleibt.
6. Menschen lügen… aus Versehen!
Eine Lüge kann auch dadurch entstehen, dass jemand etwas falsch- oder missverstanden hat. Ähnlich wie bei dem Spiel „Stille Post“ verbreiten sich so Unwahrheiten, die nicht aus der Gerüchteküche stammen, sondern schlichtweg anders aufgenommen und fehlerhaft weitererzählt wurden. Das liegt daran, dass unser Gedächtnis nicht immer hundertprozentig zuverlässig ist und unser Erinnerungsvermögen stark von persönlichen Erfahrungen und Gefühlen beeinträchtigt wird.
Warum lügen Menschen – die Gründe sind sehr individuell
Nun wissen wir, hinter einer Lüge kann eine böse Absicht stecken – muss es aber nicht. Vielmehr lügen Menschen, um sich und andere zu schützen und nicht zu verletzten. Sie wollen die negativen Auswirkungen ihres Handelns vermeiden und positive Erfolge erschummeln. Auch ungewollt kann eine Lüge entstehen. Offene Kommunikation ist hier das A und O. Ob eine kleine Notlüge gelegentlich in Ordnung ist, musst du für dich selbst entscheiden.
Quellen: health.com, brigitte.de & wienerin.at