Wenn unsere Sprösslinge älter werden, müssen sie lernen, mit Kritik umzugehen, ihre eigenen Werte zu kennen und an sich selbst zu glauben. Wie narzisstische Züge ihnen dabei helfen und warum Narzissmus bei Kindern laut Psycholog:innen ganz normal ist – und in den meisten Fällen wieder vergeht.
Unsere Autorin Anna Chiara setzt sich ehrenamtlich als Erfahrungsexpertin für die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen ein und klärt über Themen rund um mentale Gesundheit und Resilienz auf.
Wie entsteht Narzissmus bei Kindern?
Narzissmus beschreibt einen Persönlichkeitsstil, bei dem sich die Betroffenen anderen Menschen überlegen fühlen und von ihnen bewundert werden wollen. Mitleid ist ihnen ein Fremdwort – im Gegenteil – sie nutzen andere aus, um ihren Willen durchzusetzen und erfolgreich zu sein.
Lesetipp: 3 Sätze, mit denen du dein Kind zum Narzissten erziehst
Klingt nicht nach typischen Verhaltensweisen, die wir bei Kindern beobachten würden, oder? Doch tatsächlich können narzisstische Züge bereits im Kindesalter entstehen. Dr. Veronika Job, Professorin für Sozialpsychologie, beschreibt in einem Essay zwei Möglichkeiten, wie Narzissmus bei Kindern entstehen kann. Dabei stehen sich zwei völlig verschiedene Ansätze gegenüber.
Soziale Lerntheorie
„Du bist das beste Kind der Welt. Du verdienst etwas ganz Besonderes!“ Mit solchen Sätzen möchten Eltern häufig nur ihre unendliche Liebe gegenüber ihrem Nachwuchs ausdrücken. Doch solch Vergötterungen schlagen oft ins Negative. Das Kind hält sich für besser als andere und glaubt, es habe Anspruch auf eine Sonderbehandlung im Leben. Die Konsequenz: der Narzissmus wächst.
Psychoanalytische Theorie
Und nun stellen wir uns genau das Gegenteil vor: Kinder, die von ihren Eltern wenig Wertschätzung und keine Fürsorge erfahren, neigen dazu, narzisstisch zu werden. Sie streben nach Anerkennung und Bewunderung von anderen. Um ihren Mangel an Liebe zu stillen, missachten sie sogar die Gefühle ihrer Mitmenschen.
Hinweis: Auch wenn einige Studien die Soziale Lerntheorie stützen – wie genau Narzissmus bei Kindern entsteht, wurde bis heute allerdings noch nicht ausreichend erforscht. Lies auch: Kann man Narzissmus vererben?
Narzissmus bei Kindern ist richtig und wichtig
Dem Narzissmus selbst eilt ein schlechter Ruf voraus. Allerdings ist es aus Sicht des Psychiaters Michael Lipp und der Entwicklungspsychologin Anne Karow wichtig, dass Kinder narzisstische Phasen im Leben durchmachen. Wie sie in einem Fachartikel schreiben, hilft der gesunde Narzissmus den Kindern dabei, eine stabile Psyche zu entwickeln, den Glauben an sich zu stärken und seinen eigenen Wert zu schätzen.
Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung bei einem Kind zu diagnostizieren, sei demnach schier unmöglich und falsch. Auch wenn der Grundstein dafür in der Kindheit oder Jugend gelegt wird, kann die eindeutige Diagnose erst im Erwachsenenalter getroffen werden.
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Narzissmus bei Kindern: 5 erste Anzeichen
Dennoch ist es wichtig, Narzissmus bei Kindern frühzeitig zu erkennen und die Entwicklung entsprechend zu beobachten. So kannst du dafür sorgen, dass der Nachwuchs die narzisstischen Tendenzen im Alter wieder ablegt. Am besten erkennst du die Persönlichkeitsstörung im Vergleich mit Gleichaltrigen.
1. Kritikunfähigkeit
Kritik einstecken zu müssen, ist für uns alle unangenehm. Trotz dessen gehört es zum Älterwerden dazu, sich selbst zu reflektieren und konstruktiv zu überlegen, was man besser machen kann. Glaubt der Sprössling, er sei immer im Recht und niemand habe ihm etwas zu sagen, könnte das auf eine narzisstische Entwicklung hindeuten. Natürlich sollte sich das Kind nicht alles gefallen lassen, doch eine gewisse Kritikfähigkeit sollte erlernt werden.
2. Betüddelt werden
Probleme zu haben, Kritik anzunehmen, ist die eine Sache. Die andere Sache ist es, Fehler zu akzeptieren und sich geschlagen geben, wenn man im Unrecht ist. Für viele Eltern ist es schlichtweg unvorstellbar, dass das Kind etwas Falsches getan oder gelogen haben könnte. Dadurch, dass die Jüngsten von ihren Eltern in Schutz genommen werden, verstärken sich narzisstische Neigungen. Schließlich lernt es: Ich kann machen, was ich will und werde verteidigt.
3. Fehlerfrei sein
Aussagen wie „Du bist so schlau!“ oder „Das hast du aber toll gemacht!“ hören wir zwar alle gerne, doch bei Kindern können sie tatsächlich zu Narzissmus führen. Der Grund: Kinder bekommen somit das Gefühl, keine Fehler machen zu dürfen. Dabei sollten sie verstehen, dass es menschlich ist, Fehler zu machen und man aus ihnen lernen kann. So entwickeln sie einen Bezug zu sich selbst und ein gesundes Selbstvertrauen.
4. Vergleich mit anderen
Genauso wie wir Erwachsenen vergleichen sich auch Kinder mit anderen. Das ist ganz normal. Du als Elternteil solltest deinem Kind jedoch nicht das Gefühl geben, dass du es mit anderen Kindern vergleichst, sondern es immer als ein Individuum betrachten. Vermittelst du deinem Sohn oder deiner Tochter, er oder sie sei besser als andere, befeuerst du die Bildung eines narzisstischen Selbstbildes.
5. „Die anderen sind alle doof!“
Stellst du fest, dass dein Kind sich nicht nur besser fühlt als die anderen, sondern auch dazu neigt, Mitschüler:innen zu ärgern, zu verspotten oder ihre Kleidung, ihr Aussehen oder ihr Verhalten zu beurteilen? Dann solltest du versuchen, diesem Verhalten mit Verständnis und Aufklärung entgegenzusteuern, um dem Narzissmus bei Kindern vorzubeugen.