Aufgaben zu beenden kommt einem Erfolg gleich. In der Folge werden vom Gehirn Glückshormone wie Dopamin ausgeschüttet. Doch nicht immer sollte man Aufgaben deswegen in einem Rutsch beenden. Seit einiger Zeit zwinge ich mich dazu, Aufgaben auch mal nur halb fertigzustellen. Warum das sinnvoll ist und was der sogenannte Zeigarnik-Effekt damit zu tun hat, erfährst du hier.
Was besagt der Zeigarnik-Effekt?
Ist dir schon mal aufgefallen, dass du vor einer Prüfung unheimlich viel Wissen in dir trägst, welches bereits kurz nach Abgabe der Arbeit sofort verblasst?! Das mag zum einen am Phänomen des Bulimie-Lernens liegen, aber auch am sogenannten Zeigarnik-Effekt.
Der besagt nämlich, dass Menschen sich eher an Aufgaben erinnern, die noch offen sind, also die noch erledigt werden müssen als an solche, die abgeschlossen wurden. Zuerst wurde dieses Phänomen von der russischen Psychologin Bljuma Wulfowna Zeigarnik in einem Café Mitte der 1920er-Jahre beobachtet.
Offene Aufgaben sind omnipräsent
Sie bemerkte, dass ein Kellner sich alle Bestellungen perfekt einprägen konnte – jedoch nur solange, bis diese am jeweiligen Tisch ankamen. Standen Teller und Gläser erst bei den Besucher:innen, konnte dieser sich kaum noch an die Bestellungen erinnern. Diese Beobachtung ließ Zeigarnik nicht los und veranlasste sie 1927 zu einem Experiment.
Hierbei sollten die Proband:innen verschiedene Aufgaben lösen, wobei manche jedoch vor der Fertigstellung der Aufgabe von der Psychologin unterbrochen wurden. Anschließend zeigte sich, dass die Testpersonen sich tatsächlich besser an die Aufgaben erinnern konnten, die offen liegen blieben. Zeigarnik schlussfolgerte, dass das Gehirn bevorstehenden Aufgaben eine größere Aufmerksamkeit bereitstellt, wohingegen diese abnimmt, sobald die Aufgabe erledigt wird.
So einleuchtend der Zeigarnik-Effekt auch wirken mag, muss auch erwähnt werden, dass er in zahlreichen folgenden Experimenten nicht bestätigt werden konnte. In der Forschung ist er demnach umstritten.
Die Nachteile des Zeigarnik-Effekts
Sich an offene Aufgaben zu erinnern, mag auf den ersten Blick positiv wirken. Immerhin heißt das, dass unser Gedächtnis einwandfrei funktioniert. Doch dieses ständige Erinnern ist Fluch und Segen zugleich.
Gerade in Zeiten, in denen an allen Ecken und Enden Aufgaben auf uns warten, kann der Zeigarnik-Effekt fatale Folgen haben. Wir müssen daran denken, einkaufen zu gehen, Wäsche zu waschen, Freunde zu treffen, Geschenke zu verpacken, unsere:n Partner:innen Liebe zu schenken und haben auf der Arbeit zig weitere offene Aufgaben.
Ich vergleiche das Gehirn gerne mit einem Internetbrowser. Je mehr Aufgaben wir haben, desto mehr Tabs sind offen. Und wir alle wissen, wie stressig es sein kann, 20 Tabs offen zu haben und den Wald nicht vor lauter Bäumen zu sehen. Zu viele Aufgaben, an die wir uns stets selbst erinnern, lassen uns nicht zur Ruhe kommen.
Obwohl wir öfter mal den gesamten Browser schließen sollten, schalten wir nicht ab, haben mitunter Probleme einzuschlafen, stehen ständig unter Strom und riskieren langfristig auszubrennen. Der Zagarnik Effekt trägt so auch das ein oder andere gesundheitliche Risiko in sich – es sei denn, man macht sich den Effekt zunutze…
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So macht man sich den Effekt zunutze
Den Kopf auf Hochtouren zu halten und stets offene Aufgaben rumschwirren lassen, kann demnach nicht die Lösung sein. Daher sollte es unser aller Ziel sein, Aufgaben auszulagern. Am besten gelingt das mit diversen To-do-Listen. Ich persönlich führe gleich drei verschiedene Listen: eine Langzeit-, eine Wochen- und eine Tagesliste.
Auf der Jahresliste stehen Aufgaben wie die Steuererklärung und Arztbesuche. In der Wochenliste stehen Dinge, die keine weitere Woche warten können und auf der Tagesliste landet alles Relevante, was dringend am selben Tag erledigt werden muss. Natürlich würde ich auch ohne diese Listen ein erfolgreiches Leben führen können. Dank Zeigarnik-Effekt würde ich mich immerhin auch so an alles Wichtige erinnern. Doch dank der Listen ist mein Leben deutlich stressfreier.
Damit nicht genug. Man kann diesen psychologischen Effekt nämlich nicht nur unter Kontrolle bringen, sondern auch für sich nutzen. Offene Aufgaben bleiben besser in unserem Gedächtnis und treiben uns an, sie schnell zu erledigen. Das heißt, dass wir offene Aufgaben in der Regel produktiver angehen.
Einfach liegen lassen wie einst Hemingway
Und genau diesen Grundsatz kann man anwenden, wenn man beispielsweise eine Haus- oder Abschlussarbeit schreiben muss oder man an einem anderen größeren Projekt sitzt. Früher habe ich mir immer vorgenommen, meine Kapitel einer Hausarbeit oder meine Texte in einem Rutsch fertigzustellen. Zwecks eingangs erwähnter Erfolgs- und Glücksmomente versteht sich.
Dann las ich jedoch davon, dass der Schriftsteller Ernest Hemingway meist mitten in seinen Texten aufhörte zu schreiben, um am nächsten Tag angespornt weiterzuarbeiten. Statt mit einem neuen Kapitel zu beginnen (und wir alle wissen, wie schwierig es sein kann, anzufangen), musste er so einfach seinen Text fortsetzen. Er machte sich, ohne davon wissen zu können, den Zeigarnik-Effekt zunutze.
Seitdem ich Aufgaben öfter mal liegen lasse und sie später wieder anfasse, fällt es mir deutlich leichter, produktiv zu arbeiten. Glaubst du nicht? Dann versuche es doch einfach mal selbst und versuche, ob du den Zeigarnik-Effekt auch für dich praktisch nutzen kannst.
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