Geschichten wie Rumpelstilzchen, Dornröschen oder Schneewittchen kennt jeder. Sind die aber auch wirklich zeitgemäß? Schließlich sind die Geschichten oft sexistisch und veraltet, zudem enthalten sie kaum pädagogische Lehren. Aber es geht auch ganz anders: Das beweist uns Britta Kiwit mit ihrem TikTok-Kanal Avalino Diversity. Hier stellt sie diverse Kinderbücher vor und produziert Content rund um bedürfnisorientierte Erziehung.
Britta Kiwit – kurz & knapp:
- Vor ihrer Präsenz auf Social Media hat Britta BWL an der Freien Universität Berlin studiert und das Onlinemagazin ‚Gründerszene‘ mitaufgebaut.
- Sie hat ein digitalen Bewerbungsservice mitgegründet. Das Unternehmen hat sie verkauft.
- Bis 2021 arbeitete sie für die CODE University of Applied Siences, hier war sie Teil der Hochschulleitung
- Nun hat sie eine Tochter. Durch ihre Tochter ist die Idee zu dem Kanal Avalino Diversity entstanden. Ihre 270.000 Follower:innen auf TikTok folgen ihr für ihren unterhaltsamen Erziehungs- und Kinderbücher-Content
Britta Kiwit im Interview: „Alle Kinder und Erwachsene sollen sich in den Geschichten wiederfinden“
wmn: Kann man Kindern alles mit einem Kinderbuch erklären und wenn ja, warum?
Britta Kiwit: Ja, sie können zumindest eine enorme Stütze sein. Kinder kommen vorurteilsfrei zur Welt. Da sind Bücher meiner Meinung nach eine perfekte Möglichkeit, um sehr viele Thematiken altersgerecht erklären zu können.
wmn: Was kann man sich unter einem diversen Kinderbuch vorstellen?
Britta Kiwit: Für mich ist es wichtig, dass sich alle Kinder und Erwachsene in den Geschichten wiederfinden und somit Identifikationsfiguren haben. Dabei kann Vielfalt über den Text, aber auch über die Bildsprache abgebildet werden.
„Dann hab ich festgestellt, wie viel unterschwellige Diskriminierung da ist und wie viel Repräsentation fehlt“
wmn: Wie bist du dazu gekommen, Kinderbücher vorzustellen? Du hast ja vorher etwas komplett anderes gemacht. Du hast ein Service für Bewerber:innen geführt, das ist ja schon etwas komplett anderes.
Britta Kiwit: Genau, das war mein allererstes Start-up, was ich mit meinem Mitgründer damals gegründet habe. Danach habe ich an der Code University gearbeitet, das ist eine Hochschule für Digitale Pioniere in Berlin.
Mit Avalino habe ich angefangen, als ich eines Abends meinem Kind ein Buch namens „Auf der Baustelle“ vorgelesen habe. Mir ging es an dem Abend nicht so gut, ich hatte PMS und war hyperemotional. Meine Tochter tippt normalerweise immer auf die Figuren, die ihr ähnlich sehen und sagt dann ihren Namen. Nun war in dem Buch keine einzige Figur, mit der sie sich identifizieren konnte, weswegen sie ruhig geblieben ist.
Als ich mir die Bilder genauer angeschaut habe, habe ich nur weiße, männliche Bauarbeiter gesehen. Jetzt kann man sagen, „Das ist doch total egal“. Dann hab ich mir gedacht: Was ist aber, wenn meine Tochter Bauarbeiterin werden möchte? So fehlen ihr natürlich auch die Vorbilder und Identifikationsfiguren. Nachdem ich sie ins Bett gebracht habe, habe ich die ganze Nacht recherchiert. Das hat bei mir in dem Fall mit Stereotypisierungen und Geschlechterrollen angefangen.
Dann habe ich festgestellt, wie viel unterschwellige Diskriminierung da ist und wie viel Repräsentation fehlt. Auch bezüglich der Hautfarbe, Familienkonstellation, Gesundheit oder der Körperform, weil irgendwie alle Kinder in den Kinderbüchern gleich abgebildet sind. So ist dann die Idee für Avalino entstanden, um Bücher vorzustellen, in denen sich jeder wiederfindet.
„Ich lese keine Kinderbücher mehr vor, wo nur weiße Kinder zu sehen sind“
wmn: Macht das für dich auch eine gute Geschichte für Kinder aus? Dass jeder sich darin wiederfindet oder brauch es da noch andere Kriterien?
Britta Kiwit: Also ich habe jetzt keinen Katalog, den ich jedes Mal durchgehe, aber ich achte mittlerweile schon darauf, dass Diversität in der Bildsprache eine Rolle spielt. Denn die ersten unterbewussten Vorurteile beginnen genau im Kleinkindalter. Wenn ich jetzt immer nur Geschichten vorlese, in denen nur weiße Kinder abgebildet sind, dann entwickelt sich da die erste Idee von „normal vs. anders“.
wmn: Reagiert deine Tochter inzwischen anders auf die Geschichten, die du vorliest?
Britta Kiwit: Nein, weil sie es ja gar nicht anders kennt. Für Kinder sind wir unbeschriebene, weiße Blätter. Es ist für sie vollkommen natürlich, wenn in einem Buch zum Beispiel zwei Mamas das Kind von der Kita abholen. Wir sprechen da normal drüber und sie nimmt das großartig auf.
„Bücher helfen einem ganz oft, Dinge kindgerecht zu erklären“
wmn: Du kennst doch bestimmt diese Fragen, bei denen Kinder im Prinzip die Welt erklärt haben wollen. Sie stellen die merkwürdigsten Fragen zu den merkwürdigsten Momenten. Zum Beispiel: „Mama, warum sehen Bären so aus?“ Konntest du mithilfe von Kinderbüchern deinem Kind solche Fragen beantworten?
Britta Kiwit: Ja, auf jeden Fall. Bücher helfen, Dinge kindgerecht zu erklären. Da kann man auch selbst mal die „Erwachsenenbrille“ ablegen. Das kann man mit einfachen Worten, die ich im Alltag vielleicht gar nicht finde, viel besser erklären.
Das letzte Buch, was ich zum Beispiel aufgrund des Ukraine-Krieges vorgestellt habe, ist „Wie ist es, wenn Krieg ist“. Ein unglaublich wichtiges Kinderbuch für Kinder ab vier Jahren. Es hilft uns Erwachsenen, die Thematik neutral zu erklären.
wmn: Auf deinem Kanal findet man immer wieder Videos über verschiedene Erziehungsmethoden, hauptsächlich Gentle Parenting und Montessori. Helfen dir die Bücher dabei, diese Lehren anzuwenden?
Britta Kiwit: Nein, Bücher helfen dabei nicht. Bei den Büchern achte ich auf die Geschichten. In den Büchern findet man eher temporäre Momente im Alltag. Bedürfnisorientierte Erziehung und gewaltfreie Kommunikation sind ja Dinge, die dich den ganzen Tag über begleiten.
„Wenn du anfängst, den älteren Generationen zuzuhören, dann bekommst du verdammt harte Tipps“
wmn: Was würdest du Eltern raten, die ihr Kind auch mit ähnlichen Lehren erziehen wollen? Gibt es eine Sache, womit man vielleicht anfangen kann?
Britta Kiwit: Also es gibt jetzt nicht das eine Buch, was ich gelesen habe. Ich frage mich immer, warum sich mein Kind gerade so verhält in der jeweiligen Situation. Wenn du anfängst, den älteren Generationen zuzuhören, dann bekommst du verdammt harte Tipps. Lass die Kinder schreien, das ist gut für die Lungen oder Kinder schreien nun mal. Das stimmt so überhaupt nicht. Keinem macht es Spaß, zu weinen. Wenn Kinder einen Wutanfall haben, liegt das daran, dass sie ihre Emotionen noch nicht richtig regulieren können und es auch lernen müssen.
wmn: Wie gehst du damit um, wenn jemand dir solche Vorschläge gibt?
Britta Kiwit: Ich stelle mir dann immer die Frage: Warum gibt mir diese Person gerade den Tipp? Das hilft mir dann immer total. Manchmal wird man bei ungefragten Ratschlägen richtig sauer. Deshalb hab ich angefangen, mir zu sagen, dass die Person es ja auch nur gut mit mir meint. Deswegen gehen solche Ratschläge hier rein, da raus. Du bekommst aber sehr viele Ratschläge, wenn du es nicht machst wie die Ottonormalverbraucher:in in Deutschland.
„Es ist vollkommen okay, wenn man gerade als frisch gebackener Elternteil nicht alles perfekt macht“
wmn: Wie gehst du mit Fehlern in deiner eigenen Erziehung um? Kannst du da vielleicht ein konkretes Beispiel geben?
Britta Kiwit: Wir wachsen alle in die Rolle der Eltern. Man wächst, man lernt die Sprache der Kinder und man lernt, was das Weinen zu bedeuten hat. Man lernt mit dem Kind zusammen. Also keiner kommt zur Welt und ist perfekt.
Von den Fehlern zu lernen ist das allerwichtigste. Ich versuche mich über alles zu informieren und jede Sichtweise anzusehen. Ich informiere mich und entscheide dann selbst, welche Ratschläge ich annehme und welche nicht. Wenn ich zum Beispiel irgendetwas komplett ablehne, möchte ich verstehen, warum Eltern ihr Kind so erziehen. Das hilft mir dabei, zu sagen: So will ich es gerade nicht machen.“
wmn: Was möchtest du denn Eltern auf den Weg geben, die vielleicht auch gerade noch in ihre Rolle wachsen?
Britta Kiwit: Versuche nicht alle Hüte gleichzeitig zu tragen. Es ist vollkommen okay, wenn man als frisch gebackener Elternteil nicht alles perfekt macht. Vor allem muss man nicht alle Rollen, die man sonst im Leben hat, erfüllen. Ich persönlich hatte diesen wahnsinnigen Drang, in jedem Bereich meines Lebens perfekt zu sein. Das geht gar nicht. Wie immer im Leben ist das ein riesen großer Glaubenssatz. Du kannst ja einen Fehler machen, aber davon zu lernen und es dann anders zu machen ist die Kunst.
Mehr weekly heroines findest du hier: