Mit 23 sitzen manche im Studium fest, andere kümmern sich um ihren Haushalt. Wieder andere bauen nachhaltige Häuser. Leonie Deimann gehört zu der letzteren Sorte. Sie bricht gerade Weltrekorde mit ihrer sozialen Einrichtung Project Wings. Sie baut gerade das nachhaltigste Dorf der Welt in der kleinen Stadt Bukit Lawang, auf Sumatra auf. Ein Projekt, das viel Kreativität, Geduld und natürlich auch Mut erfordert. Aus diesem Grund ist Leonie Deimann in dieser Woche unsere weekly heroine.
Leonie Daimann: Kurz & Knapp
- Leonie Deimman ist 23 Jahre jung.
- Sie ist gebürtige Karlsruherin und wohnt dort bis heute.
- Mit drei Freunden hat Leonie ihr nachhaltiges Unternehmen Project Wings gegründet.
- Leonie lebt zwar in Deutschland, reist aber für ihr Projekt oft nach Sumatra.
Project Wings: Wie macht man aus Müll ein Dorf?
Dieses Dorf ist aus einem ganz besonderen Material hergestellt. Es besteht nämlich fast nur aus recycelten Plastikflaschen, Lehm und Bambus. Das sieht auf der einen Seite ziemlich verrückt aus, auf der anderen Seite ist das eben ein sehr nachhaltiges Baumaterial. Leonie erklärt uns im Interview, wie man aus Plastikflaschen Häuser baut, wie man damit die Armut bekämpft und wie eine nachhaltige Zukunft auf Sumatra aussehen kann.
wmn: Warum habt ihr euch die Insel Sumatra in Indonesien ausgesucht, um dort das nachhaltigste Dorf der Welt zu bauen?
Leonie Deimann: Jeder, der durch Südostasien reist, kommt an Indonesien nicht vorbei. Dort fällt neben der wunderschönen Natur vor allem eines auf: die riesigen Müllberge. Indonesien ist der zweitgrößte Plastikhersteller auf der Welt und gleichzeitig Importland von Plastikmüll aus vielen Ländern, auch aus Deutschland.
Gleichzeitig gibt es in Indonesien eine Bevölkerung, die sehr gespalten ist zwischen Arm und Reich. Die meisten Menschen sind hier vom Tourismus oder der Palmölindustrie abhängig. Geld haben nur die Wenigsten.
Deswegen haben wir uns für das Dorf Bukit Lawang aus Sumatra entschieden.
wmn: Ihr wollt also das Plastik nutzen, wiederverwenden und den Menschen vor Ort damit ein Dach über dem Kopf geben.
Dazu benötigt ihr ein ganz bestimmtes Baumaterial, die sogenannten Ecobricks. Kannst du uns erklären, wie ihr diese Ecobricks herstellt?
Leonie Deimann: Eine Ecobrick schafft es, Natur, Tiere und Menschen gleichzeitig zu schützen. Die Menschen sammeln das Plastik von den Straßen und aus dem natürlichen Lebensraum von Pflanzen und Tieren. So ist Flora und Fauna bereits geholfen. Gleichzeitig helfen die Menschen sich selbst, da sie das Material zu ihrem eigenen Vorteil nutzen:
Ecobricks: Der nachhaltige Baustein aus Plastikmüll
Eine Ecobrick besteht aus einer alten Plastikflasche (PET) und sehr viel Mischplastik. Mischplastik besteht vor allem aus Plastik und Alufolie, so kann es nicht recycelt werden. Den Plastikmüll reinigen wir gründlich und danach wird er in die Plastikflasche gestopft, bis sie vollkommen ausgestopft und beinahe hart wie Stein ist. Sie wiegt gut ein halbes Kilogramm.
Der soziale Aspekt der Ecobricks ist auch sehr wichtig: Unsere Mitarbeiter:innen bekommen pro gestopfter Flasche Geld und sind somit motiviert, ihre Nachbarschaft vom Plastikmüll befreien. Außerdem sind sie nicht mehr dazu gezwungen, den Plastikmüll zu verbrennen. Das machen derzeit sehr viele Menschen in Indonesien, da sie vor Ort keine Müllabfuhr haben.
72 Cent und 250 Tonnen Plastikmüll
Nice To Know: Project Wings hat bereits 250 Tonnen Plastikmüll gesammelt und zu Baumaterial verarbeitet. Dazu werden alte Plastikflaschen verwendet und mit weiterem Plastikmüll vollgestopft. Die so entstandenen Bausteine aus Plastik, die sogenannten Ecobricks, werden mit Lehm verbunden und zu Hauswänden verarbeitet.
wmn: Wie viel bezahlt ihr denn für eine Ecobrick?
Leonie Deimann: Derzeit bekommen unsere Mitarbeiter:innen 7.000 Rupia pro Flasche, das sind ungefähr 72 Cent. Zuvor haben wir 5.000 Rupia bezahlt, doch aufgrund von Corona haben ganz viele Menschen in Bukit Lawang ihren Job verloren und wir wollten durch ein höheres Gehalt noch mehr Anreize schaffen, an unserem Projekt mitzuwirken.
Das ist so viel wie ein halbes Kilo Reis. Du kannst mit den Ecobricks also auf jeden Fall deine Familie ernähren.
wmn: Wie viele Ecobricks schafft man am Tag?
Leonie Deimann: Puh, gute Frage. Wenn man geübt ist und acht bis zehn Stunden gearbeitet hat, dann bekommt gut 15 Flaschen am Tag hin.
wmn: Wie viele Flaschen braucht man für ein Haus?
Leonie Deimann: Das ist unterschiedlich. Wir haben ja alle Größen: Von der kleinen Ecotoilet bishin zum großen Marktplatz ist alles vertreten. Für die meisten Häuser brauchen wir aber so 10.000 bis 20.000 Ecobricks. Das bedeutet, dass gut 5.000 bis 10.000 Kilogramm Plastikmüll in diesen Häusern steckt.
Project Wings hat ein eigenes Pfandsystem entwickelt
wmn: Die Idee, Häuser aus Plastikflaschen zu bauen, habt ihr euch nicht ausgedacht. Es gab diese Ideen schon vorher, richtig?
Leonie Deimann: Plastikflaschen werden überall auf der Welt als Baumaterial genutzt. In vielen afrikanischen Länder werden sie mit Sand gefüllt, da er besonders gut isoliert und in Massen vorhanden ist. Es gibt aber auch Boote, die aus leeren Plastikflaschen hergestellt werden, da sie besonders gut schwimmen.
Project Wings waren auch nicht die ersten, die Plastikmüll in Plastikflaschen stopfen. Es hat aber bei den vorigen Projekten an der Umsetzung gehapert. Es ist unglaublich schwierig, Menschen überhaupt dazu zu motivieren, sich dem Plastikmüll anzunehmen. Wir wussten, dass wir die Menschen für ihre Arbeit mit dem Plastikmüll bezahlen müssen. So haben wir nicht die Ecobricks erfunden, doch wir haben daraus ein Pfandsystem gemacht.
Die Ecobricks zu bauen, ist körperlich sehr anstrengend. Gerade das Stopfen des Plastiks auf die letzten Zentimeter geht richtig in die Arme.
wmn: Die Ecobricks sollen nicht nur sehr gut zu verbauen sein, sondern auch gut dämmen. Würde man damit auch im deutschen Winter nicht frieren müssen?
Leonie Deimann: Das kommt auch auf die restlichen Materialien an. Wir nutzen neben den Ecobricks auch Bambus und Lehm. Lehm ist ebenfalls ein sehr gut dämmendes Material. In Deutschland könnte man es meiner Meinung nach definitiv nutzen, doch wir kennen unser Deutschland voller Regeln und Gesetzen: Es ist hier nicht als offizielles Baumaterial zugelassen und das wird wohl auch so bleiben.
„Durch Corona haben viele Menschen auf Sumatra ihren Job verloren“
wmn: Das Project Wings ist durch Spenden finanziert und davon abhängig. Doch gerade in den letzten zwei Coronajahren war es wahrscheinlich schwierig für euch, Spenden einzuholen und das Projekt weiterlaufen zu lassen, richtig?
Leonie Deimann: Es war eine ziemliche Katastrophe. Wir durften nicht mehr in Sumatra einreisen. Das war nicht sonderlich schlimm, da unser Projekt lokal gesteuert ist und die Einheimischen die Arbeiten weiterführen konnten. Doch das Dorf Bukit Lawang ist stark vom Tourismus abhängig. Viele Einwohnende haben ihren Job verloren.
wmn: Was waren die größten Hürden, auf die ihr beim Bau bis jetzt gestoßen seid?
Leonie Deimann: Wir haben mit grandiosen Ingenieuren und Ingenieurinnen zusammengearbeitet, die das nachhaltige Haus entworfen haben. An der Umsetzung haperte es aber hin und wieder. Für das erste Haus nutzten wir beispielsweise den falschen Bambus. Er war nicht vorbehandelt und hatte deswegen keinen Insektenschutz. Nun müssen alle zwei Jahre in diesem Haus den Lehm vom Bambus kratzen, um ihn neu zu behandeln. Anfängerfehler.
Durch Corona sind wir auch noch in einer kleinen Bambuskrise, weshalb wir nicht einfach so neuen bereits behandelten Bambus einlaufen können. Nun haben wir uns darauf geeinigt, dass wir den Bambus selbstständig gegen die Insekten behandeln.
wmn: Wie viele Menschen arbeiten für euch?
Leonie Deimann: Für das Ecobrick Pfandsystem arbeiten bereits 120 Familien und viele Einzelpersonen. Außerdem haben wir noch 50 Festangestellte. Und wir wachsen stetig weiter.
Co-Working und Startups mitten im Regenwald
wmn: Das Dorf wird aber nicht zum Wohnen erbaut, sondern es hat einen anderen Zweck.
Leonie Deimann: Das Dorf Bukit Lawang ist, wie bereits erwähnt, vom Tourismus und der Palmölindustrie abhängig. Viel Raum für kreativen Unternehmergeist gibt es da nicht. So haben wir die Gebäude im Eco-Dorf so ausgewählt, dass sie entweder einen soziale oder einen ökonomischen Nutzen haben. Es gib ein Co-Working-Büro für nachhaltige Gründer und Startups aus der Region.
wmn: Ihr plant noch ein nachhaltiges Fußballstadion mitten im Dorf?
Leonie Deimann: In Sumatra spielen die Kinder viel mehr in der Natur als bei uns in Deutschland. Egal, welche Sportart: Es wird draußen gespielt. Allerdings regnet es im Regenwald von Sumatra immer mal wieder und da brauchen die Kids einfach einen Ort, an dem sie trotzdem spielen können.
Zum Glück ist unser Schirmherr René Adler ein Fan von diesem Projekt und unterstützt uns dabei.
Volontäre sind herzlich willkommen
wmn: Was muss man tun, um als Volontär:in bei euch helfen zu können?
Leonie Deimann: Man sollte unbedingt unsere Website Projectwings.de besuchen. Dorf findet man alle weiteren Informationen. Natürlich ist es noch immer schwierig durch die Pandemie, Menschen ein- und ausreisen zu lassen. Doch wir geben unser Bestes, alles wieder möglich zu machen. Bei Bewerbungen sollte man unbedingt erwähnen, welche Skills man mitbringt.
wmn: Was muss man tun, um sich vorzubereiten?
Leonie Deimann: Bereite dich auf das scharfe Essen vor, sonst rennt man immer mit einem Glas Milch oder Joghurt durch die Gegend. Allzu große Angst sollte man vor Schlangen und Spinnen nicht haben. Es ist aber noch nie etwas passiert.
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