In den hessischen Wäldern treiben dreiste Vierbeiner ihr Unwesen. Unkontrolliert und rasant schnell breiten sich die Waschbären in Hessen aus. Bald haben sie schon ganz Deutschland für sich eingenommen und gefährden die heimische Artenvielfalt. Wie es dazu kam und was Experten:innen nun raten.
Waschbären in Hessen: Eine unkontrollierbare Plage?
Vor etwa 90 Jahren begann in Hessen eine Geschichte, die bis heute nachwirkt. Vier Waschbären wurden am 12. April 1934 in der Nähe des Edersees ausgewildert – eine Aktion, die ursprünglich als Bereicherung der Natur gedacht war. Die Initiative ging von einem Pelztierzüchter aus, der die Tiere dem Forstamt Vöhl übergab.
Beladen mit zwei Holzkisten, kamen die Mitarbeitenden an dem Waldgebiet an. Darin befanden sich insgesamt vier Waschbären, von denen zwei Weibchen trächtig waren. Das Besondere: Sie waren die ersten ihrer Art, die in Deutschland frei gelassen wurden, denn ursprünglich kamen sie aus Nordamerika. Völlig klar, dass ihnen auch die Bürokratie hierzulande nicht erspart geblieben ist.
Auswilderung ohne Genehmigung sorgt für Probleme
Wie es so üblich ist, dauerte der Papierkram länger als gedacht. Damals war es nämlich so, dass der Besitzer der Zuchtfarm, Rudolf Haagk, der die Tiere auswildern wollte, dem damaligen Leiter des Forstamtes Vöhl Bescheid geben sollte. Dieser musste sich wiederum eine Genehmigung ausstellen lassen – vom höheren Amt in Berlin.
Ein Schriftverkehr, der den Beteiligten etwas zu lange dauerte. Damit die schwangeren Waschbär-Weibchen ihre Jungen nicht in engen Gehegen zur Welt bringen mussten, wurden die Tiere bereits freigelassen, ohne die notwendigen Papiere. Eine Entscheidung, die ihnen später noch zum Verhängnis werden sollte.
Exkurs: Wieso spricht man vom „Nazi-Waschbär“?
Es kursiert das Gerücht, der Nationalsozialist und Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Hermann Göring, habe die Ansiedlung der Waschbären in Hessen höchstpersönlich befohlen. Grund der Vermutung war, dass Göring selbst leidenschaftlicher Reichsjäger und sogar Reichsforstmeister gewesen ist.
Der ehemalige Forstamtsleiter Eberhard Leicht klärt den Mythos auf. Demnach gibt es keine wahrheitsgemäßen Hinweise darauf, dass Hermann Göring bei der Auswilderung der Tiere seine Finger im Spiel hatte. Laut dokumentierter Akten handle es sich lediglich um einen Verwaltungsvorgang. Den Waschbären mit Nazis in Verbindung zu bringen, ist demnach falsch.
Population steigt ungehindert: Waschbär wird für die Jagd freigegeben
Zwei Wochen nach Freilassung der Waschbären in Hessen flatterte die Genehmigung ins Haus. Somit bekam das Forstamt Vöhl den Auftrag, die Waschbären zu beobachten und durch sie entstandene Schäden zu dokumentieren. Als in den 50er Jahren die Schäden in Gärten und an der landwirtschaftlichen Ernte zunahmen, gerieten die ausgewilderten Tiere in den Fokus. Die Folge: 1954 wurden Waschbären in Hessen zum jagdbaren Wild erklärt.
Der Deutsche Jagdverband rechtfertigt die Entscheidung damit, dass die Waschbären in Hessen das Leben anderer heimischer Tierarten gefährdet und in ihren Lebensraum eindringt. Von 2022 bis 2023 seien laut Angaben 202.821 Waschbären bundesweit getötet worden, schreibt die Hessenschau.
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Keine Fressfeinde und gutes Nahrungsangebot
Wie konnte es passieren, dass die Population der Vierbeiner so rasant ansteigt und außer Kontrolle gerät? Der Forstbeamte Eberhard Leicht leitete zwischen 1990 und 2012 das nordhessische Forstamt. Er erklärt, der Lebensraum hier in Deutschland sei dem natürlichen Habitat der Waschbären in Nordamerika enorm ähnlich.
Und er fühlt sich ausgesprochen wohl im Umfeld des Menschen, wo er jahreszeitlich unabhängig ein hervorragendes Nahrungsangebot aus Abfällen beziehen kann
Eberhard Leicht
Außerdem habe der Vierbeiner Glück, denn hierzulande gibt es kaum natürliche Fressfeinde. Aus diesen Gründen konnten sich die Tiere über Jahre hinweg ungehindert ausbreiten und vermehren.
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Zwei Millionen Waschbären in ganz Deutschland
Heute schätzen Expert:innen, dass die Zahl der Waschbären in Hessen etwa im sechsstelligen Bereich liegt. In ganz Deutschland wird der Bestand auf zwei Millionen geschätzt, so ein Forschungsteam der Goethe-Universität in Frankfurt. Schuld seien jedoch nicht die vier in Hessen ausgewilderten Waschbären, räumt Eberhard Leicht ein.
Hätte sich die ungehinderte Ausbreitung aus nur zwei Elterntieren entwickelt, würden aufgrund von Inzucht genetische Defekte auftauchen. Auch andere Auswilderungen wie beispielsweise in der Eifel oder bei Strausberg in Brandenburg haben die Situation beeinflusst. Dennoch sei es ein „mahnendes Beispiel“, das in Erinnerung bleibt.
Tipp: Siehst du in Hessen einen Waschbären, melde den Fund über das Meldeportal des Hessischen Landesamtes für Naturschutz, Umwelt und Geologie.
Aktuelle Relevanz der Waschbären in Hessen
Das Thema ist heute aktueller denn je. Der Waschbär steht seit 2016 auf der Unionsliste der invasiven Arten der EU. Trotz intensiver Jagd hat sich die Population nicht signifikant verringert. Expert:innen sind sich einig, dass allein durch Bejagung keine effektive Kontrolle mehr möglich ist.
Stattdessen wird verstärkt auf den Schutz der Lebensräume gesetzt, um das ökologische Gleichgewicht wiederherzustellen. Die Waschbären sind nun ein fester Bestandteil der deutschen Fauna, und ihre Bekämpfung bleibt eine Herausforderung für Naturschützer und Behörden.