Meine Zeit in Nordwales bei Jack und Megan verging wie im Flug, obwohl die Zeit auf dem Land nahezu stehenzubleiben schien. Und trotz all der kleinen Arbeiten, die am Haus der beiden zu machen waren, musste ich ab und zu über meinen eigenen Schatten springen. Das bisschen Gartenarbeit ist doch nicht so anstrengend – oder? Nicht jeder Eat.Pray.Love-Moment, ist so romantisch, wie man sich ihn vorstellt.
Die Komfort-Zone verlassen: Über den eigenen Schatten springen
Während der Rente einfach den ganzen Tag zu Hause fernsehen? Nicht bei Jack und Megan. Die beiden haben immer etwas zu tun. An meinem ersten Tag auf dem walisischen Land hat mich Jack über das riesengroße Grundstück der beiden geführt. Über die Weiden mit den Pferden, hinüber zu den Ställen, der Autowerkstatt und dem Schuppen – die von Jack liebevoll „Car-Business“ und „Wood-Business“ genannt worden sind. Meine Aufgaben klangen zunächst überschaubar: Unkraut zupfen und Fenster streichen. Doch schon da bemerkte ich, dass mein Körper lange Aufenthalte an der frischen Luft einfach nicht mehr gewöhnt ist – traurig aber wahr.
So musste ich an der ein oder anderen Stelle über meinen Schatten springen. Laut Jack hatte ich „nur die leichten Aufgaben“ bekommen. Doch was für den einen leicht klingt, ist für den anderen eine echte Herausforderung. Und so kam es, dass ich schwere, große Holzblöcke stapelte, mit einem Laubbläser hantierte, Nägel aus Brettern herauszog oder Holz und Nägel abfräste. Das alles dem konstanten Gedanken, sich nun bloß keinen Nagel ins Gesicht zu hauen oder die Finger abzufräsen. Nach anfänglicher Überwindung, der konstanten Angst etwas falsch zu machen und dem gelegentlichen (liebevollen) Ausgelacht-Werden von Jack, fingen die Arbeiten an mir mehr und mehr Spaß zu machen.
Die Memo an mich lautete also: Du springst auf Reisen öfter mal über deinen Schatten, als du gedacht hast. Jack setzte mich am nächsten Tag an einer alten Ruine ab. Davon gibt es in Wales unzählige. Diese war noch sehr gut erhalten und man konnte auf einer wackeligen Treppe den Turm hinaufsteigen. Mit Höhenangst war dies ein Erlebnis für sich. Doch nach insgesamt drei Anläufen, lächerlich zittrigen Beinen und konstant mir selbst gut zuredend, habe ich es jedoch schlussendlich nach ganz oben geschafft. Der Ausblick ging meilenweit bis aufs Meer.
Manchester: Ein Date mit mir selbst
An einem verregneten Samstag zog es mich dann doch einmal in die Großstadt. So ging es zunächst mit dem Auto in das nächstgelegene Dorf, von dort aus mit dem Bus in die nächstgelegene Stadt und von dort aus noch einmal mit dem Zug zwei Stunden bis nach Manchester. Eigentlich wäre ich dort mit einem Freund verabredet gewesen. Doch dieser hat spontan abgesagt.
Wenn ich eines auf meiner Reise gelernt habe, dann ist es spontan zu sein. Und so habe ich mich in einer völlig fremden Stadt alleine wieder gefunden. Der erste Impuls nach Wochen auf dem Land: Kulturschock – überall Menschen. Ich hatte mich allerdings auch für den vollen Halloween-Samstag entschieden, so hat an der überlaufenen Großstadt kein Weg vorbei geführt.
Einen richtigen Plan gab es für mich ohne meinen Tourguide nicht. Doch ich wäre ja nicht allein gereist, wenn ich für solche Situationen nicht gewappnet wäre. Manchester ist relativ überschaubar und vieles ist fußläufig zu erreichen. Und so fand ich mich in der Innenstadt wieder, in der zur Herbstzeit überall kleine Kürbisse in den Bäumen hängen, auf dem Weg zur Kathedrale, denn du kommst bei einem Besuch in Wales keinesfalls um die unzähligen Kathedralen herum.
Zusätzlich besuchte ich die Art Gallery, die kostenlos ist. Neben einem übergroßen Porträt von Zayn Malik und den üblichen Stillleben findest du dort zeitgenössische Kunst, wie beispielsweise feministische Arbeiten der Künstlerin Jade Montserrat. Schlussendlich ging es in ein Café, um belgische Waffeln zu essen und Kaffee zu trinken. An diesem Punkt in meiner Reise fand ich das alleine Essen nicht mehr seltsam. Mit einem guten Buch und beim Menschen beobachten wird dir nicht langweilig und die Bedienungen sind meiner Erfahrung nach extra nett, wenn du alleine bist.
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Auf der Insel Anglesey bleibt die Zeit stehen
Gegen Ende meiner Reise machen Jack, Megan und ich einen Ausflug nach Anglesey. Die kleine Insel liegt an Wales und wird von Einheimischen gern für Campingtrips genutzt. Wir fuhren in eine kleine Stadt an die Küste. Von dort aus kannst du meilenweit übers Meer schauen und durch die mediterranen Städtchen schlendern. Den Tag ließen wir, bevor wir einen Coffee to go für die Rückfahrt holten. mit vegetarischen spanischen Tapas ausklingen.
Mein Zwischenfazit: Ab und zu ist es sinnvoll, über den eigenen Schatten zu springen, den kleinen Alltags-Hemmungen den Kampf anzusagen und gerade auf einer Reise alleine tut man dies viel häufiger. Gerade wenn man sich nicht in seiner Komfortzone befindet, ist es im Endeffekt umso egaler, was man tut und die Erfahrungen bekommt man nicht noch einmal. Eat.Pray.Love-Momente sind demnach nicht nur mit absurder Romantisierung verbunden, sondern manchmal einfach die kleinen Dinge. Einfach mal etwas zu tun, was man noch nie getan hat.