„20 Zeichen, dass er dein Seelenverwandter ist“. „Seelenverwandte: Daran erkennen wir sie“. Und dann plötzlich: „Wer an Seelenverwandtschaft glaubt, schadet der Beziehung“. Google ist ähnlich verwirrt wie ich. Was ist überhaupt Seelenverwandtschaft und gibt es sie wirklich? Und wenn ja, ist das wirklich etwas Gutes oder reden wir doch nur von einer romantisierten Illusion, die deiner Beziehung schadet? Finden wir es heraus.
Was ist eine Seelenverwandtschaft? Finden wir es heraus:
Was ist eine Seelenverwandtschaft?
Wikipedia sagt: „Als Seelenverwandtschaft bezeichnet man eine Verbindung zwischen zwei Personen, die sich durch eine tiefe, als naturgegeben erscheinende Wesensähnlichkeit verbunden fühlen, was sich in Liebe, Kommunikation, Intimität, Sexualität oder Spiritualität äußern kann.“
Das ergibt Sinn, haben wir Seelenverwandtschaft doch genau so in Filmen und Büchern immer und immer wieder erlebt. Der Knackpunkt liegt in folgender Formulierung: „naturgegeben erscheinend“. Impliziert das nicht bereits, dass die Frage, was eine Seelenverwandtschaft ist, hinfällig ist, weil es sie gar nicht gibt?
Gibt es so etwas wie Seelenverwandtschaft?
Jein. Wie die Frage, was eine Seelenverwandtschaft ist, kann auch die Frage nach ihrer Existenz nicht allgemeingültig beantwortet werden. Denn sie ist ein Konstrukt, das jeder Mensch für sich selbst definiert. Es gibt spirituelle Auslegungen, die von Schicksalsbegegnungen und seelischer Einheit sprechen. Es gibt aber auch den wissenschaftlich-rationalen Umgang mit dem Begriff.
Hans-Werner Bierhoff ist Professor für Sozialpsychologie an der Ruhr-Universität Bochum und sagt, dass eine Seelenverwandtschaft „zum Beispiel in einer Partnerschaft durch gemeinsame Werte und Erfahrungen entsteht.“ Sie hat also weniger mit Vorbestimmtheit zu tun, als mit einer großen Nähe zwischen zwei Menschen. Diese Nähe muss nicht nach dem Prinzip der Liebe auf den ersten Blick existieren. Sie kann sich auch über die Jahre entwickeln.
Wissenschaftlich betrachtet ist die Seelenverwandtschaft eine Illusion, so Bierhoff. Es handele sich viel mehr um „ein subjektives Empfinden, das – zumindest im Fall von realen Partnerschaften und Freundschaften – auf objektiven Gemeinsamkeiten basiert und diese in der eigenen Wahrnehmung verstärkt. Das festigt dann das Gefühl der Zusammengehörigkeit.“ Eigentlich etwas sehr Schönes, wenn auch nicht Vorherbestimmtes. Wieso aber kann das Gefühl der Seelenverwandtschaft gefährlich für Beziehungen sein?
Ist die Seelenverwandtschaft eine Gefahr für deine Beziehung?
Der Sexualpsychologen Christoph Joseph Ahlers hat in einem Interview mit dem ZEIT Magazin über das Phänomen der Seelenverwandtschaft gesprochen und erklärt, wieso es hierbei so oft zu Enttäuschungen kommt. Wenn wir jemanden kennenlernen, so Ahlers, projizieren wir unsere Bedürfnisse auf den oder die andere:n. Haben wir das Gefühl, diese Person erfüllt unsere Bedürfnisse, fühlen wir uns zu ihr hingezogen, verlieben uns vielleicht sogar.
Der Paartherapeut Michael Mary formuliert diesen Prozess als „Wesensfaszination„. Dabei sei man von den Eigenarten des anderen derart gebannt, dass man sich schicksalhaft miteinander verbunden fühle. Der Erziehungsberater Christian Thiel hält genau das für sehr gefährlich.
Denn jemanden für den eigenen Seelenverwandten zu erklären, bedeutet nichts anderes als ihn oder sie zu idealisieren. Das geht eine Weile gut, aber irgendwann flacht die Faszination für den/die neue:n Parter:in ab: „Sobald die Hormone abebben, landen diese Menschen in der Enttäuschung“, so Thiel. „In diesen Partnerschaften eskalieren Konflikte, weil Unterschiede nicht ertragen werden.“
Wenn aus Seelenverwandtschaft Einsamkeit wird
Auch Christoph Joseph Ahlers sieht Gefahren in der Idealisierung des „Seelenverwandten“. Sobald die Desillusionierung eingetroffen ist, würden aus den Seelenparter:innen plötzlich zwei Menschen, die sich sehr einsam fühlen. Denn entgegen ihrer Annahme fühlt der/die andere nicht ausnahmslos wie sie selbst und kann nicht jedes Bedürfnis problemlos erfüllen. Anstatt miteinander ins Gespräch zu kommen, Kompromisse in Konflikten zu finden und aneinander zu wachsen, trennen sich solche Paare oft überstürzt, weil er oder sie eben doch nicht „der/die Richtige“ war.
Auch im umgekehrten Fall kann der Glaube an die Seelenverwandtschaft gefährlich werden. Dann nämlich, wenn sie als Argument für die Unfähigkeit, sich aus einer ungesunden Beziehung zu lösen, vorgeschoben wird. Menschen, die an Seelenverwandtschaft glauben, sind oft der Überzeugung, dass jede:r nur einen Seelenverwandten hat. Und wenn man den gefunden hat, lässt man ihn nicht mehr gehen, egal wie schlecht er oder sie einen behandelt.
Was ist eine Seelenverwandtschaft für dich?
Die Frage ist also nicht, ob es Seelenverwandtschaft gibt. Das darfst du für dich selbst entscheiden. Wichtig ist deine Auslegung dessen. Wenn du eine:n Partner:in oder auch eine beste Freundin oder Freund gefunden hast, mit der du all deine Werte teilst und dem oder der du dich tief verbunden fühlst, ist das wunderbar. Und wenn du möchtest, kannst du das als Seelenverwandtschaft bezeichnen. Vergiss aber nicht, dass auch in den besten Verwandtschafts-Verhältnissen Differenzen vorkommen und dass das okay ist.
Stelle dich darauf ein, dass du deine:n Partner:in nicht auf Ewig durch die rosarote Brille sehen wirst und dass ihr früher oder später an eurer Beziehung arbeiten müsst. Nichts daran ist schlimm oder bedeutet, dass ihr nicht zusammen passt. Und bis dahin: Genieße es. Denn auch, wenn sie nur eingebildet ist – Die Seelenverwandtschaft sorgt dafür, dass wir uns gut fühlen. Weil wir uns verstanden und bestätigt fühlen, erklärt Hans-Werner Bierhoff: „Und auch die Beziehung selbst erscheint in einem positiveren Licht und harmonischer als sie vielleicht in Wirklichkeit ist. Demnach handelt es sich bei der Seelenverwandtschaft zwar um eine Illusion, aber sie macht zumindest glücklich und zufrieden.“
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