Der Name klingt zunächst einmal vielversprechend. Das neue Adoptionshilfegesetz soll Familien bei der Adoption unterstützen, die Strukturen verbessern und den gesamten Prozess modernisieren. Gerade Letzteres wirkt für lesbische Paare wie ein schlechter Witz. Denn statt sie mit heterosexuellen Paaren gleichzustellen, werden Zwei-Mütter-Familien mit dem neuen Gesetz diskriminiert.
Der Grund: Das neue Gesetz, dem am 3. Juli noch Bundesrat zustimmen soll, schreibt eine verpflichtende Beratung bei der Adoption vor. Dabei erfahren lesbische Paare ohnehin deutliche Diskriminierung. Sie sind die Einzigen, die in Deutschland das Adoptionsverfahren durchlaufen müssen, obwohl ihre Kinder in jahrelangen Partnerschaften und Ehen hineingeboren wurden. „Die gemeinsame Elternschaft muss endlich anerkannt werden“, sagen Anja und Nicole, ein lesbisches Paar aus Berlin.
Die beiden Frauen wurden vor 5 Jahren das erste Mal Eltern. Vier Jahre später gesellte sich zu Sohn Valentin Töchterchen Marla. Ich bin seit Langem mit Anja und Nicole befreundet, habe miterlebt, wie aus ihrer Freundschaft Liebe wurde und sie eine Familie gegründet haben. Seit 2017 berichten sie auf ihrem Instagram-Account und ihrem Youtube-Channel frauundfrauw von ihrem Leben als Regenbogenfamilie.
Mit wmn sprechen sie mit mir über das schwierige Adoptionsverfahren, ihre Forderungen an den Staat und die Opferrolle vieler lesbischer Paare.
Der lange Weg zum großen Familienglück
wmn: Liebe Anja, liebe Nicole, erst mal herzlichen Glückwunsch! Ihr habt gerade euren sechsten Hochzeitstag gefeiert. Mittlerweile seid ihr Eltern von zwei Kindern. Wann war für euch klar: Wir wollen eine Familie gründen?
Nicole: Das wussten wir ziemlich fix.
Anja: Wir hatten ja mit unserer Freundschaft auch zwei Jahre Vorlauf.
Nicole: Ja, nachdem wir uns ineinander verliebt hatten, schmiedeten wir direkt Pläne. Uns war klar: Wir möchten heiraten, eine Wohnung kaufen und Kinder zusammen bekommen.
Anja: Und das, obwohl wir beide vorher das alles nie wollten. Aber wenn man den richtigen Menschen trifft, ändert sich alles.
wmn: Wie waren die Reaktionen auf eure Pläne, ein Kind zu bekommen?
Anja: Positiv! Fast alle waren fast total begeistert und haben sich gefreut.
Nicole: Na ja, meine Mutter war erst etwas verhalten. Sie hatte Bedenken, konnte sich nicht vorstellen, wie das mit der Schwangerschaft und zwei Frauen funktionieren soll. Diese Angst konnten wir ihr aber schnell nehmen und haben ihr erklärt, welche Möglichkeiten es gibt.
wmn: Ihr habt euch für eine Samenspende entschieden. Allerdings war dieser Schritt alles andere als ein Spaziergang …
Nicole: Nein, weil es zu Beginn nur sehr wenige Kinderwunschkliniken in ganz Deutschland gab, bei denen eine Insemination für lesbische Paare angeboten wurde. Wir hatten damals aber immer das Gefühl, dass solche Behandlungen unter der Hand durchgeführt wurden, so als sei es illegal. Heute sieht das schon anders aus. Es gibt mittlerweile sieben oder acht Kliniken in Deutschland, die das ganz offiziell durchführen und auch auf ihrer Internetseite darüber informieren.
Anja: Allerdings ist es hierzulande noch immer so, dass man sich den Spender nicht einfach aussuchen kann. Man kann lediglich ein paar Wünsche angeben. Zusammen mit den Merkmalen der nicht leiblichen Mutter wird dann eine Top 5 erstellt. Man weiß dann zwar die Haarfarbe, die Körpergröße und den Beruf, aber ein wirkliches Bild kann man sich nicht machen. Sich für einen Spender zu entscheiden, ist so eine intime Entscheidung. Und zwar eine der wichtigsten des Lebens. Da will ich keine Vorauswahl bekommen.
Nicole: Das war uns damals zu kompliziert und zu anstrengend. Wir haben dann die Diers-Klinik im dänischen Aarhus gefunden, die ausführliche Profile der Spender anbietet. Man bekommt ein Kinderfoto, ein Audiointerview, eine Einschätzung des Klinikpersonals, ein psychologisches Gutachten, eine komplette Gesundheitsgeschichte bis zu den Großeltern und einen persönlichen Brief.
Wir haben uns direkt in einen Spender verliebt!
Anja: Da haben wir uns direkt in einen verliebt. Da hat einfach alles gepasst.
wmn: Und dann bist du, Nicole, schwanger geworden
Nicole: Ja, und zwar gleich beim ersten Versuch.
Anja: Wir sind auch von nichts anderem ausgegangen. Wir haben uns wahnsinnig gefreut.
wmn: Eure Freude wurde allerdings dadurch getrübt, dass nur Nicole rechtlich gesehen die Mutter war …
Nicole: Ja, weil ich die Gebärende war, war ich vor dem Gesetz die alleinige Erziehungsberechtigte. Um auch einen Sorgerechtsanspruch zu haben, musste Anja unser Baby adoptieren. Und das, obwohl wir in der Schwangerschaft unsere Lebenspartnerschaft haben eintragen lassen.
Keine Rechte in Bezug auf das Kind – trotz jahrelanger Partnerschaft und Ehe
Anja: Weil ich sonst keinerlei Rechte in Bezug an unserem Kind gehabt hätte, habe die Stiefkindadoption beantragt, als unser Sohn Valentin acht Wochen alt war. Ich musste eine komplette Liste abarbeiten. Ich sollte mein Einkommen und Vermögen offenlegen, ein psychologisches Gutachten und einen Gesundheitscheck durchlaufen, außerdem musste ich ein erweitertes Führungszeugnis und ein Bewerbungsschreiben vorlegen. Ich musste sogar beim Jugendamt unter Aufsicht mit unserem Sohn spielen, damit die Beamten sehen konnten, ob zwischen uns eine persönliche Beziehung besteht.
Anja hatte keinerlei Rechte gegenüber unserem Kind. Nicht auszudenken, wenn mir etwas passiert wäre!
Nicole: Dieser ganze Prozess hat fast ein Jahr gedauert. 365 Tage mit einer Wahnsinns-Unsicherheit, weil Anja keine Rechte gegenüber Valentin hatte. Nicht auszudenken, wenn mir bei der Geburt oder in dem Jahr danach was passiert wäre! Dann hätte das Jugendamt darüber entschieden, wo Valentin hinkommt. Das ist schon eine krasse Sache.
wmn: Bei eurer Tochter Marla lief das anders ab, oder?
Anja: Ja, wir haben unsere Lebenspartnerschaft vor ihrer Geburt in eine Ehe umtragen lassen und hatten die Hoffnung, dass mir unsere Tochter dann eher zugesprochen werden würde.
Nicole: Ich habe sogar zusätzlich noch ein Testament gemacht, in dem ich Anja die Fürsorge in dem Fall der Fälle zuspreche.
Anja: Das ging aber nur, weil wir bei Marla schon verheiratetet waren. Und eine Sicherheit gab es noch immer. nicht Denn anders als in einer heterosexuellen Ehe, bekommen beide Ehepartner nicht automatisch das Sorgerecht zugesprochen. Nur weil ich keinen Samen habe, werde ich ausgeschlossen. Das kann es nicht sein!
Beratung verlängert den ohnehin langen Adoptionsprozess
wmn: Am 3. Juli wird das Adoptionshilfegesetz entschieden. Das klingt ja erst einmal so, als würde Familien wie euch jetzt mehr Unterstützung zugesichert werden …
Nicole: Aber das ist leider nicht der Fall. Die Grundidee dahinter ist ja nachvollziehbar und richtig. Dass es eine verpflichtende Beratung gibt, ist völlig in Ordnung. Es geht ja um das Wohl des Kindes. Aber dadurch wird das Adoptionsverfahren noch mal verlängert. Wir hatten im toleranten Berlin wirklich Glück mit den Behörden. Bei Valentin haben wir ein Jahr, bei Marla sogar nur sechs Monate warten müssen. Doch bei manchen zieht es sich je nach Region und Bearbeiter über Jahre hin.
Anja: Dadurch ist der Zeitraum, in dem lesbische Paare keine rechtliche Absicherung für ihre Kinder haben, noch länger. Da sind wir einfach benachteiligt. Das geht nicht!
wmn: Was fordert ihr vom Staat? Was muss sich ändern?
Anja: Der der Text des Abstammungsgesetzes muss nur ein wenig angepasst werden. Als Vater gilt der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist – ganz unabhängig davon, ob er auch der Erzeuger ist. Statt „Mann“ müsste der Text einfach in „Person“ umgeschrieben werden. Damit wäre jeder Ehepartner automatisch Mutter oder Vater der in die Ehe hineingeborenen Kinder. Das würde lesbischen Elternpaaren diese ungewisse Phase mit vielen Hürden ersparen.
Nicole: Viele dachten: Jetzt gibts die Ehe für alle, also haben auch alle die gleichen Rechte. Aber das ist leider nicht der Fall. Diese ständige Unterstellung, dass da was nicht stimmen könnte und man erst mal prüfen muss, nervt! Wenn es solche Checks mal bei anderen Paaren geben würde. Es gibt schließlich so viele Familien, in denen es wirklich Probleme gibt, aber niemand irgendwas kontrolliert. Nur weil auf dem Papier dein Vater ist, heißt das nicht, dass man auch ein guter Vater ist. Es sollte viel öfter geprüft werden, ob die Eltern sich gut kümmern, ihre Kinder lieben – ganz unabhängig vom Geschlecht.
Lesbische Paare sollten aus ihrer Opferrolle rauskommen!
wmn: Was ratet ihr anderen Frauenpaaren mit Kinderwunsch?
Anja: Generell sollten lesbische Paare aus ihrer Opferrolle herauskommen. Viele wurden in ihrem Paar-Dasein diskriminiert und haben deswegen ein mangelndes Selbstbewusstsein. Dabei ist es doch etwas ganz Normales, wenn sich zwei Frauen lieben. Es geht doch um den Menschen! Wir gehen mit unserer Beziehung ganz selbstverständlich um und haben deswegen eigentlich keine negativen Erfahrungen gemacht. Je selbstbewusster man als Paar auftritt, desto erfolgreicher ist man auch im Umgang mit den Ämtern. Davon bin ich 100%ig überzeugt.
Nicole: Es ist wichtig, die positiven Geschichten zu erzählen und sich ganz bewusst als Paar zu zeigen. So können Vorurteile abgebaut werden – und man kann anderen gleichgeschlechtlichen Paaren Mut machen.
Anmerkung der Redaktion: Nach dem Interview hat der Bundesrat das Adoptionshilfegesetz gestoppt. Bereits im Mai hatten Grüne und Linke bei der Beschlussfassung im Bundestag die verschärfte Deskriminierung von Zwei-Mütter-Familien angemahnt. Der Lesben-und Schwulenverband fordert Bundesfamilienministerin Giffey nun dazu auf, zügig nicht-diskriminierende Regelungen für das Adoptionshilfegesetz zu finden.
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