Als ich Gianna Bacio auf Instagram entdeckte, wusste ich: Diese Frau brauchen wir für unsere Rubrik der weekly heroine! Hier küren wir jede Woche eine starke und inspirierende Frau, von der wir uns gerne eine Scheibe abschneiden würden. Was mich bei der Sexualpädagogin- und Beraterin Gianna so beeindruckt hat? Mit welcher Selbstverständlichkeit und unterschwelligem Witz sie dem Thema Sexualität begegnet. Aber seht selbst: Im Interview steht sie uns Rede und Antwort zu ihrem Job und erklärt, warum gerade das Thema der weiblichen Masturbation es ihr angetan hat.
Dieses Interview erschien bereits am 05.07.2021 auf wmn.de.
Gianna Bacio – kurz & knapp
Du hast noch nie von Gianna Bacio gehört? Das muss sich schleunigst ändern!
- Gianna Bacio kommt ursprünglich aus Köln, lebt aber seit vier Jahren mit ihrem Partner und ihrem 2 ½-jährigen Sohn relativ ländlich in Hamburg.
- Nach dem Abitur hat sie Grundschullehramt studiert. Im Interview verrät sie uns: „Ich wusste schon immer, dass ich etwas lehren und anderen Menschen etwas beibringen möchte. Zunächst war mein Fokus, Kindern etwas beizubringen. Im Referendariat hat sich allerdings für mich herausgestellt, dass ich doch nicht so ganz im System Schule arbeiten möchte. Ich möchte lieber etwas freier sein.“
- Also hat Gianna Bacio umgesattelt und hing ein Duales Studium im Bereich Prävention und Gesundheit ran.
- Parallel dazu begann sie, auf YouTube Aufklärungsvideos zu machen: „Wir hatten damals den Kanal 61 Minuten Sex, der dann auch ganz gut abging, als wir das zu zweit gemacht haben und der wurde größer und größer und so stellte sich dann langsam heraus, welche Schiene es sein würde“, erklärt Gianna.
- Mit dem Ende des YouTube-Kanals, begann Gianna Bacio sich selbstständig zu machen. Außerdem ließ sie sich in dieser Zeit als Sexualpädagogin weiterbilden.
- Heute hat sie zwei eigene Podcasts (u.a. einen für das Emotion-Magazin mit dem Titel Love Your Sex). Auf TikTok hat sie über 600.000 Follower:innen und auf Instagram folgen ihr über 54.000 Menschen, die sich von ihr regelmäßig zum Thema Sexualität aufklären lassen.
- Auch als Autorin macht sich die Aufklärerin, wie sie sich auf ihrer Website selbst nennt, einen Namen: 2018 erschien ihr Debüt mit dem Titel „Hand drauf! Ein Plädoyer für die weibliche Masturbation“. In ihrem neuen Buch „Love Your Sex“ widmet sie sich der partnerschaftlichen Sexualität. 🛒
Gianna Bacio im Interview: „Eher wird Vermeidungspädagogik betrieben“
Bei solch einer Laufbahn mussten wir Gianna einfach kennenlernen und konnten kurzerhand ein Telefoninterview mit ihr ergattern. Hier erzählt sie uns mehr über ihre Arbeit als Sexualpädagogin und was sie antreibt…
wmn: Was kann ich mir unter dem Beruf einer Sexualpädagogin vorstellen?
Gianna Bacio: Meine genaue Berufsbezeichnung ist Sexualpädagogin- und Beraterin. Ich berate also auch Menschen, die in mein Büro kommen. Eine Sexualpädagogin ist im Grunde eine Aufklärerin. Wir kommen zum Beispiel an Schulen und nehmen da die Rolle der Lehrperson bzw. des Vermittelnden ein. Eine Sache, die ich persönlich ganz großartig finde, wenn das Externe machen! Und die betreiben dann Aufklärung zu Themen wie: Was sind Kondome? Was sind sexuell übertragbare Krankheiten? Wie entsteht Schwangerschaft? Was ist die Menstruation? Wie funktioniert der Zyklus? Wie groß ist ein durchschnittlich großer Penis? Und wie sieht eigentlich die Vulva aus? Es geht also um die Basics.
Aber auch Fragen danach, wie ein Orgasmus funktioniert, was eine Erregungskurve ist und was die Lustkurve ist. All das gehört zur Vermittlung. Das bedeutet aber nicht, dass Sexualpädog:innen nur an Schulen gehen. Sie arbeiten auch in Einrichtungen mit Jugendlichen und jungen Erwachsen zusammen.
Sexualunterricht an Schulen ist „etwas realitätsfremd“
In der Schule wird zwar Sexualitätsunterricht durchgenommen. Aber ich hatte selbst immer das Gefühl, dass dieser Unterricht etwas realitätsfremd war. Die Themen Lust und Erregung kamen da gar nicht vor. Eher wird Vermeidungspädagogik betrieben, in dem Sinne wie Schwangerschaften oder sexuell übertragbare Krankheiten vermieden werden können. Das Gegengewicht dazu bilden Pornos, aber die zeigen auch ein realitätsfremdes Bild. Natürlich kann man sich wissenschaftliche Literatur zu dem Thema Sexualität besorgen. Viele machen das aber nicht, weil es schwer zugänglich ist. Ich hoffe dagegen, dass ich die Themen leicht und locker aufbereiten kann!
wmn: Auf welchen Kanälen findet deine Aufklärung statt? Welcher Kanal macht dir am meisten Spaß und wo hast du die größte Reichweite?
Gianna Bacio: Es gibt TikTok, Instagram, die Podcasts und das Schreiben. Als ich merkte, dass YouTube nicht mehr so ganz mein Format ist und ich mich gerne weiterentwickeln würde, habe ich TikTok für mich entdeckt. Ich finde total spannend, dass man da innerhalb von einer Minute auf den Punkt kommen muss! Und das ging irgendwie relativ schnell durch die Decke. Da bin ich im Moment bei fast 600.000 Folower:innen. Mittlerweile habe ich also eine ganz gute mediale Reichweite bekommen. So kann ich ganz viele Leute erreichen und denen, das ist mein Ziel, das Thema Sexualität so leicht und locker wie möglich beibringen.
Aber Instagram bringt mir auch so viel Spaß! Hier habe ich die Möglichkeit mit Fotos und mit Beiträgen, Informationen zu verbreiten. TikTok ist der Kanal, wo Menschen reinkommen können, aber mehr Gehalt bekommen die Menschen auf Instagram. Wenn es dann noch tiefer gehen soll, sind die Podcasts ideal und wenn meine Follower:innen dann noch mal tiefer gehen wollen und die Materie verstehen wollen, dann können sie sich die Bücher zulegen (lacht).
„Den Kindern wurden die Hände über der Bettdecke zusammengebunden!“
wmn: Lass und gerne auch über dein erstes Buch sprechen! Das trägt den Titel Hand Drauf! Ein Plädoyer für die weibliche Masturbation. Warum war dir Buch so wichtig und worum geht es hier genau?
Gianna Bacio: Die Zeit, in der wir so offen über das Thema Sexualität und im Speziellen über die Masturbation sprechen, ist ja noch relativ jung. Bis vor ein paar Jahrzehnten war die Masturbation total verteufelt. Den Kindern wurden die Hände über der Bettdecke zusammengebunden! Es ist verrückt, was allein von der katholischen Kirche unternommen wurde, um die Masturbation zu verbieten. Insofern haben wir noch einiges aufzuholen, weil sich gesellschaftlicher Wandel eben relativ langsam vollzieht.
Ich nehme es schon noch so wahr, dass über die Masturbation nur mit vorgehaltener Hand gesprochen wird. Insbesondere Frauen sprechen da meiner Meinung nach nicht gerne drüber, weder ob sie es machen, noch wie sie es machen. Und da fehlen dann einfach Informationen. Denn Filme und Medien zeigen eine falsche Richtung auf: Hier machen sich es Frauen total schnell und rubbeln die Katz (lacht). Auch in Familien wird nicht drüber gesprochen.
Auf der anderen Seite bekomme ich so unglaublich viele Anfragen von Frauen, die unglücklich sind, weil sie noch nie einen Orgasmus hatten oder weil sie Erregungsschwierigkeiten haben. Da spreche ich jetzt insbesondere über heterosexuellen Sex. Weil man herausgefunden hat, dass heterosexuelle Frauen eher von der Orgasmus-Lücke (Orgasm Gap) betroffen sind, also weniger Orgasmen haben als zum Beispiel homosexuelle Frauen.
„Zum Beispiel [sind] Vulva und Vagina nicht das Gleiche“
Da frage ich mich: Warum denn eigentlich? Kann man da nicht was gegen tun? Ich fand, da gab es noch total großen Aufklärungsbedarf. Zum einen, um den Leser:innen passendere Begrifflichkeiten näher zu bringen. Das Wort Scham zum Beispiel ist vielen Begriffen inne. Zum anderen gibt es auch bei anatomischen Sachen noch ganz viel Aufklärungsbedarf. Zum Beispiel, dass Vulva und Vagina nicht das Gleiche sind. Und dass das Jungfernhäutchen die Vagina nicht wie Frischhaltefolie verschließt. Dass die Klitoris viel größer ist als der kleine Knubbel, der von außen sichtbar ist. All solche Sachen, die traurigerweise nicht mal in allen Anatomiebüchern zu finden sind. Da wollte ich mit meinem Buch einen Schlag mehr zum Gegengewicht beitragen.
wmn: Warum glaubst du, dass vor allem Frauen viel zu selten Hand anlegen?
Gianna Bacio: Es wird gesellschaftlich nicht so sehr thematisiert und deshalb auch nicht so akzeptiert wie die männliche Masturbation. Ich erinnere mich an meine eigene Schulzeit zurück, in der Jungs locker darüber gesprochen haben. Wir Mädchen dagegen meinten, wir würden das nicht tun.
Es herrscht immer noch ein Bild, dass sich Masturbation unter Frauen nicht gehört und dass sie ihre Lust nicht zeigen dürfen. Als hätte es etwas Verwerfliches an sich. Vieles ist von Scham und Schuld begleitet. Ich könnte an einer Hand Frauen abzählen, die öffentlich über ihre Masturbationserfahrung sprechen. Es wurde einfach über Generationen das Verbot und die Tabuisierung weitergegeben.
wmn: Warum ist regelmäßige Masturbation deiner Meinung nach so wichtig?
Gianna Bacio: Auf keinen Fall möchte ich da eine Art Druck ausüben und sagen, dass jede:r das unbedingt machen muss, weil er oder sie nur so ein erfolgreiches und zufriedenstellendes Sexualleben haben wird. Wenn das jemand für sich komplett abhakt und damit nichts anfangen kann, dann ist das jedermanns- und fraus gutes Recht, es nicht zu tun.
Klient:innen, mit denen ich gesprochen habe und die sich selbst angefasst haben, haben dadurch aber zum Beispiel herausgefunden, wie ihr Genital aussieht und wie ihr Körper funktioniert. Und das gefiel ihnen. Durch die Selbsterfahrung und das Handanlegen kann man erst erleben, was einem gefällt und was nicht. Man kann Grenzen ziehen. Consent kann dadurch erst stattfinden. Man kann erleben, was Lust und erogene Zonen bedeuten. Was ich häufig auch wahrnehme, ist, dass viele gar nicht wissen, was ihnen gefällt. Vor allem geben sie die Verantwortung für die eigene Sexualität ab.
„Jeder ist selbst für seine Zufriedenheit […] verantwortlich“
Und dann fallen solche Sätze wie: Jemand ist schlecht im Bett oder jemand kann mich nicht befriedigen. Da zeigt sich die Schwierigkeit. Denn wenn ich die Verantwortung abgebe, dann habe ich sie nicht mehr. Dann bin ich nicht mehr mit im Game und kann gar nicht mehr mitbestimmen, was ich beim Sex erleben möchte.
Da muss ich sagen: Nein, jeder ist selbst für seine Zufriedenheit im eigenen Sexualleben verantwortlich. Und man kann es ja über einen leichten Weg herausfinden, was einem gefällt. Beim Sex ist es sehr viel schwieriger herauszufinden, was man möchte, weil da noch eine andere Person dabei ist und der Fokus weggeht. Wenn ich aber gelernt habe, den Fokus bei mir selbst zu halten, ist die Wahrscheinlichkeit auch höher, dass ich auch beim Sex merke, was mir guttut und was eher nicht.
wmn: Was wünschst du dir für die Zukunft?
Gianna Bacio: Schwierige Frage. Natürlich möchte ich jetzt das Non-Plus-Ultra zum Abschluss raushauen! (lacht) Da gehen mir so viele Dinge durch den Kopf. Aber ich wünsche mir so was wie mehr Selbstfürsorge. Ich nehme wahr, dass wir uns viel darum kümmern, was im Außen passiert und wie man sich beispielsweise anpassen kann.
Wenn ich aber Selbstfürsorge betreibe (und damit meine ich jetzt gar nicht Masturbation), sondern einfach etwas zu tun, was mir selbst guttut, glaube ich, dass viele Probleme sich lösen würden –sowohl in Beziehungen als auch gesellschaftliche Probleme.
Wir danken Gianna für dieses ausführliche Interview! Ihr neues
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