Reden ist Silber, Schweigen ist Gold – das gilt auch in der Psychotherapie. Denn ihr Erfolg ist davon gekrönt, dass du dich deinem Gegenüber zu hundert Prozent öffnen kannst und deine Aussagen vertraulich behandelt werden. Die wenigsten wissen jedoch: Es gibt drei Ausnahmefälle, in denen Psychologen und Psychologinnen ihre Schweigepflicht brechen dürfen.
Unsere Autorin Anna Chiara setzt sich ehrenamtlich als Erfahrungsexpertin für die Entstigmatisierung von psychischen Erkrankungen ein und klärt über Themen rund um mentale Gesundheit und Resilienz auf.
Unterliegen Psychologen der Schweigepflicht?
Was ist die Schweigepflicht?
Die Schweigepflicht ist gesetzlich festgelegt und dient dem Schutz deiner Privatsphäre. Alles, was du in einer Therapie sagst, bleibt streng vertraulich. Dein Psychologe/deine Psychologin darf keine Informationen über dich ohne deine ausdrückliche Zustimmung weitergeben – egal, ob es um deine Gedanken, Gefühle oder sensible persönliche Details geht. Das Ziel: Vertrauen aufbauen und dir einen sicheren Raum bieten, in dem du dich öffnen kannst, ohne Angst haben zu müssen, dass etwas nach außen dringt.
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Warum unterliegen Psychologen der Schweigepflicht?
Psychologen und Psychologinnen schauen tief in die Seelen hinein und arbeiten mit dem Innersten ihrer Patienten/Patientinnen – ihren Ängsten, Traumata und Problemen. Damit du dich in einer Therapie fallen lassen kannst, ist Vertrauen das A und O.
Die Schweigepflicht des Psychologen/der Psychologin ist die Grundlage dafür. Sie schafft ein Umfeld, in dem du dich ohne Vorbehalte äußern kannst, weil du weißt, dass nichts davon ungewollt an Dritte gelangt. Ohne diese Vertraulichkeit wäre es nahezu unmöglich, effektiv zu arbeiten.
Bricht die Psychologin oder der Psychologe die Schweigepflicht, kann das Misstrauen auslösen und sogar zum Therapieabbruch führen, warnt das Ärzteblatt. Zudem droht ihm oder ihr ein saftiges Bußgeld oder, je nach Schwere, sogar eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr.
Gewusst: Nicht nur Psychologinnen und Psychologen sind an die Schweigepflicht gebunden. Auch Ärzte/Ärztinnen, Assistenten/Assistentinnen, Sekretäre oder Sekretärinnen und andere Angestellte unterliegen ihr.
3 Fälle, in denen Psychologen die Schweigepflicht brechen dürfen
Wann eine Psychologin oder ein Psychologe die ihnen auferlegte Schweigepflicht brechen darf, ist gesetzlich geregelt.
Fall #1: Es droht eine akute Gefahr
Das „Prinzip der Güterabwägung“ regelt, dass ein Psychologe oder eine Psychologin die Schweigepflicht brechen darf, sobald es sich um einen „rechtfertigenden Notstand“ handelt. Sprich: Es muss eine gegenwärtige Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre und Eigentum bestehen – oder andere Rechtsgüter. So sollen gefährliche Szenarien vermieden werden.
Beispiel: Der Patient/die Patientin äußert im Gespräch die Überlegung, sich selbst oder einer anderen Person Schaden zuzufügen, dann steht der Schutz des Lebens über der Schweigepflicht und sie darf gebrochen werden, indem die Polizei informiert wird. Bei Suizidgefahr ist sogar zulässig, die Angehörigen zu kontaktieren.
Fall #2: Eine Straftat steht im Raum
Weiterhin werden Psychologinnen und Psychologen von der Schweigepflicht entbunden, wenn eine (versuchte) Straftat vorliegt, zum Beispiel ein Mord, ein Raub oder eine Brandstiftung. Somit sollen Wiederholungstaten vermieden und Kapitalverbrechen schnellstmöglich aufgeklärt werden.
Beispiel: Wenn du deinem Psychologen oder deiner Psychologin anvertraust, dass du ein Verbrechen begehen wirst oder bereits begangen hast, muss er dies unter bestimmten Umständen den Behörden melden. Auch in solchen Fällen geht es darum, Schaden abzuwenden und Menschen zu schützen.
Fall #3: Gerichtsverhandlungen
Auch vor Gericht kann ein Psychologe oder eine Psychologin dazu verpflichtet werden, die Schweigepflicht zu brechen und unter bestimmten Bedingungen auszusagen. Das passiert allerdings nur selten und meist in besonders schweren Fällen.
„Der behandelnde Therapeut muss sich im Klaren darüber sein, dass er in persönlicher Verantwortung im Einzelfall entscheiden muss“, erklären die Reutlinger Rechtsanwältin Susanne Locher-Weiß und die Juristin Kerstin Burgdorf, Mitarbeiterin der DGVT-Bundesgeschäftsstelle in Tübingen.
Große Unsicherheiten unter Psychologen
Auch wenn die Regeln auf den ersten Blick eindeutig scheinen, so sind sie es in der Praxis nicht immer. Die Gesetzestexte sind sehr dehnbar und großzügige ausgelegt, weshalb viele Psychologinnen und Psychologen im Umgang damit unsicher sind und aus Unwissenheit Fehler begehen.
„Psychotherapeuten sind über diese Fälle allerdings zu wenig informiert“, berichten Jeffrey Younggren und Eric Harris von der American Psychological Association Insurance Trust. Sie stecken in einer Zwickmühle – einerseits unterliegen sie der ärztlichen Schweigepflicht, doch andererseits kann das Nichtanzeigen eines geplanten Verbrechens bestraft werden.
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Regelung sei „eine tickende Zeitbombe“
Kaum ein Patient oder eine Patientin äußert jedoch klipp und klar: Ich plane eine Straftat. In der Regel halten Therapeuten und Therapeutinnen es zwar für möglich, haben aber keinen konkreten Hinweis auf das verbrecherische Vorhaben, schreibt die Süddeutsche Zeitung.
Der bittere Beigeschmack dabei: Zwar könnten Psychologinnen und Psychologen, mit dem Brechen der Schweigepflicht, mögliche Straftaten offenbaren – allerdings würden vermutlich weniger Menschen sich in der Therapie öffnen, wenn sie wüssten, dass ihre Äußerungen an die Polizei weitergegeben werden. „Das wäre ein Förderprogramm für tickende Zeitbomben“, so die SZ.